Donnerstag, 31. Januar 2013

+++#AUFSCHREI beherrscht das gesamte TV+++



Seit fast einer Woche führt Deutschland eine Sexismus-Debatte. Und die Debatte wird nicht leiser...
Mittwochabend. Gleich auf drei TV-Kanälen köchelt das Thema vor sich hin.
Bei Anne Will in der ARD verteidigt CDU-Senior Heiner Geißler (82) die Frauen und ruft: „Die Männer müssen sich ändern!“
FDP-Macho Martin Lindner (48) erklärt sich bei Markus Lanz im ZDF selbst zum Opfer von Sexismus.
Und die Initiatorin der #aufschrei-Aktion auf Twitter, Anne Wizorek (31), berichtet im Studio des RTL-Magazins Stern TV, sie sei „traurigerweise nicht überrascht“ gewesen, dass es so viele Frauen sind, die eine Geschichte zum Thema Sexismus zu erzählen haben.

Auf Twitter wird währenddessen eifrig kommentiert. Die am häufigsten genannten Schlagworte des späten Abends sind: Anne Will, Heiner Geißler, SternTV, Lanz, Sexismus und Aufschrei.
Was bisher geschah
Mit ihrem Stern-Artikel „Der Herrenwitz“ hatte die Journalistin Laura Himmelreich (29) vor einer Woche eine heftige Sexismus-Debatte ausgelöst, warf FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle (67) vor, ihr vor einem Jahr mit anzüglichen Bemerkungen zu nahe gekommen zu sein.
Seitdem diskutiert ganz Deutschland: Wo hört ein Flirt auf und fängt Sexismus an – kurz: Wie viel Brüderle ist erlaubt?

Nur einer schweigt bislang beharrlich: Brüderle selbst.

Auch am Mittwochvormittag beim ersten Aufeinandertreffen von Stern-Journalistin Himmelreich und Brüderle äußerte er sich nur allgemein zum Thema, sagte: Sexismus sei eine Debatte, die läuft, „die eine gesellschaftliche Relevanz hat". Eine Entschuldigung, die laut Umfragen mehr als 90 Prozent der Deutschen von ihm erwarten: Fehlanzeige.

Der Talk-Mittwoch

►22.48 Uhr, Anne Will („Sexismus-Aufschrei – hysterisch oder notwendig?“) will gleich als erstes von ihren Gästen wissen: „Hätte sich Brüderle entschuldigen müssen?“
Unternehmerin und Piratin Anke Domscheit-Berg findet: „Ja! Es geht längst nicht mehr nur um eine Geschichte zwischen zwei Menschen.“
Journalist Jan Fleischhauer hätte ihm geraten, eine Erklärung abzugeben, fragt aber auch: „Bei wem eigentlich?“
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast meint ebenfalls, das könnte sinnvoll sein. „Spannender finde ich aber, dass daraus ein Aufschrei geworden ist. Es ist nicht akzeptabel im Umgang zwischen den Geschlechtern, dass Frauen immer noch ständig sagen müssen: Nein, halt, stopp.“
Und CDU-Senior Heiner Geißler findet: „Dass er sich nicht entschuldigt hat, ist für ihn ein Nachteil, aber insgesamt ein Vorteil, weil so endlich die überfällige Diskussion über den Sexismus in Deutschland losgetreten wurde.“
Wenig Meinungsverschiedenheiten bei Will, es gibt nur eine Person, die die Männer in Schutz nimmt – und das ist eine Frau.
Monika Ebeling, ehemalige Gleichstellungsbeauftrage, die sich heute vor allem für Männer stark macht. „Studien und Umfragen beweisen: In Beziehungen werden gleich viele Männer wie Frauen gewalttätig. Wir müssen eine geschlechtsneutrale Diskussion führen“, fordert sie.

►Etwa eine halbe Stunde vorher, 22.15 Uhr, RTL „Stern TV“.
Im Studio bei Moderator Stefan Hallaschka sitzen Anne Wizorek und Nicole von Horst, die beiden Initiatorinnen der #aufschrei-Aktion auf Twitter, einer Welle von Wortmeldungen im Internet zum Thema Sexismus. 90 000 Tweets gab es in den vergangenen sechs Tagen zu diesem Schlagwort.
Wizorek, die als „Gesicht einer neuen Bewegung“ bezeichnet wird, sagt, am Ende sei sie „traurigerweise nicht überrascht“ gewesen, dass es so viele Frauen sind, die eine Geschichte zum Thema Sexismus zu erzählen haben.

Ruhig und bestimmt beantworten die beiden jungen Frauen die Fragen des Moderators, die keine neuen sind:
Können sich Frauen heute denn wirklich nicht wehren? Nein, nicht, wenn sie sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden.
Wo zieht man die Grenze, wann beginnt Sexismus? Dann, wenn der Mensch zum Objekt degradiert wird.
Wie können sich Opfer wehren? Verbündete suchen, am besten Männer.
Ob die Aktion wirklich etwas bewirkt? Das habe sie ja schon. Auch viele Männer hätten sich geäußert, seien ehrlich betroffen gewesen.
RTL widmet dem Thema 15 Minuten. Andere Themen drängen: Til Schweiger und Dschungel-König Joey warten.

►23.30 Uhr, bei Anne Will wird schon weit fast 45 Minuten diskutiert.
Mit einem Einspieler bringt die Moderatorin die Runde kurz zum Schweigen: Gewerkschafterin Michaela Rosenberger erzählt von ihren Erfahrungen aus dem Hotel- und Gaststättenbereich: Dass eine Dame vom Roomservice das Zimmer öffnet und der Gast splitterfasernackt im Zimmer steht und auf sie wartet, „das ist glaube ich schon fast jeder Kollegin passiert“.
Wenn ein Zimmermädchen sich über so etwas beschwert oder eine Bar-Dame darüber, dass ein Gast sie angegrapscht hätte, müsse sie sich vom Chef anhören, sie solle sich nicht so haben.
Journalist Fleischhauer: „Solche Menschen wird auch diese Sexismus-Debatte nicht ändern.“ Er rät: „Unterschätzen Sie nicht die Wirkung einer guten Ohrfeige.“
Künast sieht das anders. Solche Beispiele zeigten, „dass es einen Mangel an Fürsorgepflicht bei diesen Hotel-Chefs gibt“. Die Chefs müssten für sexuelle Belästigung sensibilisiert werden. Hoffnung macht der Grünen-Politikerin, dass es auch bei Polizei und Gerichten gelungen sei, die Mitarbeiter beim Thema Sexismus zu sensibilisieren.
Künast: „Zum ersten Mal gebrauchen tausende Frauen das Internet – diese Debatte wird nicht einfach verschwinden.“
Piratin Domscheit-Berg plichtet ihr bei: „Mit diesen neuen Medien haben wir die Möglichkeit, aus unseren gemeinsamen, leisen Stimmen einen gemeinsamen Aufschrei zu machen.“
Vermittler und Ex-Familienminister Heiner Geißler glaubt nicht, dass das reicht. Die Frauen seien nach wie vor das benachteiligte Geschlecht. Seine Forderung: „Die Männer müssen sich ändern!“
Nur Männer-Aktivistin Ebeling ist unzufrieden mit dem Diskussion-Verlauf. Sie kritisiert, die Debatte werde verzerrt geführt: Es gebe auch Männer, die Opfer von Sexismus seien.

►Ein solcher Mann sitzt bei Markus Lanz – zumindest sagt er das über sich selbst.
Lanz beschäftigt sich schon den zweiten Tag in Folge mit der Sexismus-Debatte. Diesmal dabei: FDP-Macho Martin Lindner. Dass der tatsächlich „immer wieder für einen Skandal gut ist“ (Lanz), beweist er auch hier.
Lindner sei an besagtem Abend, von dem die Journalistin Himmelreich in ihrem Artikel berichtet, ebenfalls an jener Hotel-Bar gewesen.
Erinnern könne er sich aber nicht mehr. Viel zu lange her, sagt er. Deshalb müsse sich Brüderle auch nicht entschuldigen.
Doch der FDP-Mann ist quasi Fachmann in der Sexismus-Debatte. Gleich zweimal wurde der FDP-Mann 2012 im Bundestag buchstäblich „bei den Eiern gepackt“. Im Mai schoss der Linken-Abgeordnete Jan van Aken in seine Richtung: „Jedes Mal, wenn hier eine Frau redet, dann macht dieser Macho arrogante Zwischenrufe und krault sich seine Eier.“

Im Juni setzte die SPD-Abgeordnete Barbara Hendricks noch einen drauf, nannte den Liberalen den „berühmtesten Eierkrauler dieses Parlaments“.
„Nur eine Beleidigung“, meint Grünen-Urgestein Jutta Ditfuhrt bei Lanz. Lindner aber schäumt: „Das ist auch Sexismus!“
Punkt Mitternacht enden die Gespräche bei Lanz – und damit auch die Sexismus-Debatten an diesem TV-Tag.
Doch: Fortsetzung folgt. Schon am Donnerstagabend geht es weiter: Maybrit Illner talkt mit Grünen-Chefin Claudia Roth und FDP-Dauernörgler Wolfgang Kubicki über „Schote, Zote, Herrenwitz - ist jetzt Schluss mit lustig?“ Und bei Markus Lanz sitzt Stern-Chefredakteur Thomas Osterkorn.

NA DANN, SPORT FREI!

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