Ein Örtchen in Bayern, eine Familie, zwei Weltkonzerne: Die Geschichte von Adidas und Puma zeigt, wann Konkurrenz guttut – und wann sie gefährlich wird!
Über die Sache mit dem Bürstenschuh kann sich Helmut Fischer noch heute aufregen. Der kleine Mann mit dem freundlichen Lächeln und dem Piraten-Bärtchen sitzt im Besucherzimmer der Zentrale von Puma Deutschland im fränkischen Herzogenaurach. „Mister Puma“ nennen sie ihn hier. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet der 63-Jährige fürs Unternehmen, ein halbes Leben. Fischer kann viel erzählen. Olympia 1968, zum Beispiel, Mexiko: Die alten Aschebahnen wurden gerade durch Tartan ersetzt; mit den üblichen Schuhen bleiben die Sportler in dem neuen Kunststoffbelag stecken. Puma hat eine Idee: Statt großer Spikes hat der Bürstenschuh viele kleine Nägel unter der Sohle. Die amerikanischen Sportler laufen damit vor Olympia von Weltrekord zu Weltrekord, die Spiele könnten ein großer Erfolg werden für Puma. Doch zwei Wochen vor dem Start schreitet die Leichtathletikkommission ein: Der Bürstenschuh zerstöre die neuen Bahnen.
„Alleine diese Begründung“, schnaubt Fischer. Später will er erfahren haben, dass der Konkurrent Adidas die Funktionäre bestochen haben soll. Das wisse er von einem Mitarbeiter, der das Geld zur Kommission in die Niederlande gefahren habe.
Das Verhältnis der beiden großen Sportartikelhersteller aus Herzogenaurach ist heute zwar nicht mehr so vergiftet; aus einer in der deutschen Wirtschaftsgeschichte wohl einmaligen Feindschaft wurde mit der Zeit ein professioneller Wettbewerb. Doch gewöhnlich ist das Verhältnis bis heute nicht. Konkurrenz kann grundsätzlich belebend sein, gerade in der Wirtschaft. Im besten Fall treibt der eine den anderen an, zu mehr Leistung, mehr Innovationen – und damit zu mehr Erfolg. Konkurrenz kann aber auch schaden: wenn sich zwei Firmen so beharken, dass sie den Blick für andere, wichtigere Dinge verlieren. Bei Adidas und Puma gab es beides.
Die Sache mit dem Bürstenschuh ist eines von vielen Beispielen für die frühe Beziehung zwischen den beiden Firmen. Dafür, wie sie sich gegenseitig belauerten, genau beobachteten, woran die Konkurrenz gerade bastelte. Und wie einer dem anderen immer wieder reingrätschte, wenn sich die Gelegenheit dazu bot.
„Wenn etwas nicht geklappt hat, muss es der andere gewesen sein“, erinnert sich Frank Dassler, Enkel von Puma-Gründer Rudolf Dassler. Der drahtige 57-Jährige ist zwei Köpfe größer als Helmut Fischer. Er kennt Mister Puma noch, aus der gemeinsamen Zeit bei der Marke mit der Raubkatze im Logo. Das war in den Achtzigern. Heute ist Frank Dassler Anwalt. Unterm Sakko trägt er ein weißes Polo-Shirt mit drei Streifen. Die von Adidas. Dem Unternehmen von Rudolfs älterem Bruder Adolf. Seit 2004 ist Frank Dassler Chefjurist bei Adidas. Sein „Traumjob“, wie er sagt. Dass einer wie er, ein Puma-Enkel, mal so reden würde, wäre früher undenkbar gewesen.
Zwei Brüder, zwei Firmen
Fast ein viertel Jahrhundert lang betreiben Rudolf und Adolf, genannt Adi, gemeinsam die Schuhfabrik „Gebrüder Dassler“. Adi, ein eher introvertierter Tüftler, beginnt 1920 in der Waschküche seiner Eltern damit, Sportschuhe herzustellen. Rudolf, der Geschäftsmann unter den Brüdern, steigt einige Jahre später mit ein.
Die Geschäfte laufen gut, die Firma wächst. Doch nach dem Krieg kommt es zum Zerwürfnis, Rudolf zieht mit seiner Familie aus der gemeinsamen Villa aus, die Firma wird aufgeteilt. Adi bleibt in der Fabrik südlich der Aurach, die Kombination seines Vor- und Nachnamen wird später Weltruhm erlangen. Rudolf übernimmt das Firmengelände nördlich des Flusses und gründet dort Puma, heute ebenfalls ein Milliardenkonzern, wenn auch deutlich kleiner.
Bis heute ist nicht sicher, warum sich die Brüder zerstritten haben. Beide sollen sich nach Kriegsende gegenseitig bei den Alliierten angeschwärzt haben, heißt es. Schon vorher war die Stimmung von Misstrauen geprägt. Frank Dassler erinnert sich an eine Geschichte, die ihm seine Großtante erzählt hat. Von einem Luftangriff der Amerikaner, als beide Familien noch zusammen in einem Haus lebten. „Meine Familie, also auch mein Großvater, war schon unten im Schutzkeller“, erzählt Dassler. Adi kam später mit seiner dazu, in dem Moment, als der Angriff begann. „Da kommen die Schweine ja schon wieder“, soll Rudolf gesagt haben. „Er meinte wohl die Amerikaner“, sagt Dassler, Adi habe das aber auf sich bezogen.
Helmut Fischer kennt noch eine andere Geschichte: Rudolf habe eine Affäre mit Adis Frau Käthe gehabt, das wisse er von früheren Mitarbeitern. Fischer erinnert sich noch an einen Streit zwischen Rudolfs Sohn Armin und Horst, dem Nachkommen von Adi. „Du könntest mein Bruder sein“, habe Armin nach ein paar Drinks zu seinem Cousin gesagt, der daraufhin „explodierte“. Helmut Fischer ist sich sicher: „So was sagt man ja nicht einfach so dahin, wenn da nicht irgendwas gewesen wäre.“
Nach dem Streit von Rudolf und Adi sollte nicht nur die Familie auf Jahrzehnte gespalten bleiben. Ganz Herzogenaurach war geteilt. „Es gab einen Adidas-Fleischer und einen Puma-Fleischer“, erinnert sich Frank Dassler. Die Blicke der Leute im Ort seien immer nach unten gerichtet gewesen, sagt Helmut Fischer: auf die Schuhe. „Da hat man erst mal geschaut, zu welcher Fakultät der andere gehört.“
Weltmeisterschaft 1954: Durchbruch für Adidas
Adidas war immer einen Schritt voraus. Entscheidend für die Entwicklung der beiden Firmen war wohl die WM 1954, die Sache mit den Schraubstollen. Nationaltrainer Sepp Herberger geht vor dem Turnier zu Rudolf Dassler, um Geld dafür zu fordern, dass seine Mannschaft in Puma-Schuhen aufläuft. Das war damals noch nicht üblich. Rudolf weigert sich. „Er hat beim Kartenspielen schon wegen fünf Pfennig gestritten“, erinnert sich Fischer. Nachdem Puma ihn abgewiesen hatte, versucht es Herberger bei Adidas – mit Erfolg. Nach dem Endspiel gegen Ungarn, das als Wunder von Bern in die Geschichte eingeht, wird nicht nur die Nationalmannschaft gefeiert, sondern auch Adi Dasslers Schuhe. Die Schraubstollen daran, so die Meinung vieler, hätten der deutschen Mannschaft auf dem regennassen Untergrund einen Vorteil verschafft. Ein wichtiger Schritt für die Marke Adidas. Bis heute besteht die Kooperation mit der Nationalmannschaft.
Die Schraubstollen, das ist auch so ein Thema, das Helmut Fischer am Herzen liegt. Wie der Bürstenschuh. Erfunden hat sie keines der beiden Unternehmen, das sagt auch Adidas. Fischer legt aber Wert darauf, dass Adidas die Stollen nicht zuerst eingeführt hat. „Ich habe 2006 nachgewiesen, dass Puma schneller war.“ Daraufhin habe er Hausverbot im örtlichen Hotel Herzogspark erhalten, das damals noch Adis Tochter Brigitte Baenkler gehörte.
Die Söhne von Rudolf und Adi haben das Erbe und damit auch die Rivalität ihrer Väter fortgeführt. Normalen Kontakt gab es zwischen den Familien-Clans lange nicht. „Ich hatte relativ wenig Berührung mit der anderen Familie“, erinnert sich Frank Dassler. Adi habe er mal auf einer Messe „von weitem gesehen“. Auch dessen Sohn Horst hat er mal auf einer großen Veranstaltung getroffen. „Da hat er mich dann sogar gesiezt“, sagt Dassler, „das fand ich ein bisschen seltsam.“
Auch in der Generation der Enkel von Rudolf und Adi, der von Frank Dassler, setzte sich die Fehde fort. Sein Bruder Jörg habe mal eine Abhörwanze in seinem Telefon gefunden, erzählt Frank Dassler. „Da war natürlich die Spekulation groß, dass die von Adidas sein könnte.“ Beweisen konnte das niemand. „Auf der Wanze stand nicht Adidas drauf.“
"Endlich mal wieder ein Dassler im Unternehmen"
Die Söhne von Rudolf und Adi, Armin und Horst, schieden Ende der Achtzigerjahre aus den Konzernen aus, so wie auch der Rest ihrer Familien. Doch erst 2009 gab es einen symbolischen Versöhnungskick. Die beiden Firmenchefs Jochen Zeitz und Herbert Hainer organisierten ein Fußballspiel zwischen Puma- und Adidas-Mitarbeitern. Die Mannschaften waren gemischt, Endstand: 7:5 für das Team von Zeitz und Hainer.
Frank Dassler ist heute der Einzige aus seiner Familie, der in einem der beiden Konzerne arbeitet. Er hat in den USA gelebt, sich dann als Anwalt selbständig gemacht, sich losgelöst von der alten Fehde. Seinen Seitenwechsel sieht er gelassen. In der Adidas-Welt habe man ihn freundlich aufgenommen. „Toll, haben die gesagt, endlich mal wieder ein Dassler im Unternehmen." In seiner (alten) Familie, bei Puma, sahen es manche als „Verrat am Großvater“. Heute gebe es aber keine Probleme mehr. „Ist ja schon viel Wasser die Aurach hinuntergeflossen.“ Sagt Frank Dassler.
Helmut Fischer sieht die Sache etwas anders. Er ist gebürtiger Herzogenauracher, war als Kind mit Puma-Gründer Rudolf samstags beim Angeln. Auf seine Wade hat er eine Puma-Tatze tätowiert, groß wie eine Handfläche. An der Tatze hängen blutrote Tropfen. Als es um Dasslers neuen Job bei Adidas geht, ist das freundliche Lächeln von Mister Puma verschwunden. Das sei seine Sache, betont Fischer immer wieder, das müsse Dassler schon mit sich selbst ausmachen. Und dann fällt es doch noch, das Wort: „Todsünde“.
Das ist sie wieder, die alte Rivalität. Der Bürstenschuh. Die Schraubstollen. Darauf angesprochen, bemühen sich beide Männer um eine positive Sicht der Dinge. Bei aller Feindschaft haben sich die Konzerne gegenseitig angetrieben. „Die Konkurrenz war sehr förderlich“, sagt Fischer. In der kleinen Stadt wollte jeder einen Schritt voraus sein. Das sieht auch Frank Dassler so: Der Konkurrenzkampf habe den beiden Firmen „gutgetan“ – besonders in den Anfangsjahren. „Das hat die Produkte weitergebracht“, sagt Dassler.
Neuer Mitstreiter aus den USA
Nur einmal, in den Siebzigerjahren, hat die Rivalität beiden Firmen wirklich geschadet. Der Blick ging damals immer nur auf die andere Seite der Aurach, so bemerkte keiner, was sich jenseits des Atlantiks tat. „Beide haben sich nicht umgedreht, nicht gemerkt, dass von hinten jemand kommt“, sagt Fischer. Und plötzlich gab es einen neuen Mitbewerber: Nike. Die Amerikaner ließen die Herzogenauracher hinter sich – und sorgten so auch dafür, dass die alte fränkische Feindschaft abnahm. Heute ist Nike der größte Konkurrent von Adidas. Puma spielt, wirtschaftlich gesehen, eine untergeordnete Rolle.
Die Produkte von Adidas und Puma werden heute größtenteils in Asien und Nordamerika produziert, nicht mehr in Herzogenaurach. Adidas ist mit seiner Zentrale längst auf die Nordseite des Flusses gezogen, zu Puma. Im Ort sind die Sportartikelhersteller aber immer noch präsent: Auf den Bussen, die durch Herzogenaurach fahren, sind Sportler in Lebensgröße abgebildet, jeweils sechs. Drei von Adidas, drei von Puma. In der Fußgängerzone tragen viele Menschen Klamotten der beiden Marken.
Den beiden Konzernen ist die Geschichte wichtig. Sie lässt sich gut vermarkten, etwa bei großen Sportturnieren, wenn das Zählen beginnt. Wie viele Mannschaften hat Puma, wie viele Sportler tragen Adidas? Bei der letzten Fußball-WM“, erzählt Frank Dassler, „da wollte ich mal wissen, wie viele Tore Spieler mit Adidas-Schuhen geschossen haben“. Sein Ergebnis: „Wir haben die meisten.“ Ob das eine Bedeutung hat? Für ihn schon. „Manche sagen, die Schuhe sind alle gleich. Ich bin anderer Meinung.“
Auch die britische BBC war schon in Herzogenaurach, erzählt Fischer, „die wollten sich sogar den Friedhof anschauen“. Dort liegen Adolf und Rudolf begraben. Getrennt: Rudolf im Familiengrab in der einen Ecke des Friedhofs, Adi mit seiner Familie in der gegenüberliegenden. Haben sich Adi und Rudolf jemals versöhnt? Helmut Fischer erzählt von jährlichen Treffen der beiden in den Siebzigern, da hätten sie „wie Brüder miteinander gesprochen“. Frank Dassler hingegen kann sich nicht vorstellen, dass sich die beiden wirklich ausgesprochen haben.
Und heute? Wie viel von der alten Rivalität ist noch übrig?
Helmut Fischer steht auf dem Speicher der Puma-Zentrale. Die Regale sind vollgestopft mit alten Schuhen und Klamotten. Als die Dasslers aus dem Unternehmen ausschieden, sollten die Spuren der Vergangenheit verschwinden. Fischer dachte sich, es wäre schade um die ganzen Sachen; er zog den Tennisschläger von Boris Becker aus dem Müllcontainer hinter dem Gebäude, fing an, Erinnerungsstücke zu sammeln.
Ständig kommen neue dazu. Zu jedem kennt Fischer eine Geschichte. Der sechsfache Olympiasieger Usain Bolt schickt ihm nach seinen Weltrekorden immer einen Schuh. „Ich habe ihm den Raum mal gezeigt“, sagt Fischer, „da war er begeistert.“ Irgendwann will er ein Museum einrichten.
In einer Ecke findet der 63-Jährige das Trikot der Fußballnationalmannschaft von Kamerun, Puma hat es für den Afrika Cup 2004 entworfen. Das besondere daran: Es ist ein Einteiler, Hose und Trikot sind zusammengenäht. Die Fifa hatte zunächst kein Problem damit.
Puma beanspruchte eine Design-Revolution für sich, investierte viel in Werbung, und freute sich über das steigende Interesse der Öffentlichkeit zu Beginn des Turniers. Dann kam plötzlich das Veto der Fifa. Adidas hatte Einspruch eingelegt. Es folgte ein langer, bis heute einmaliger Rechtsstreit zwischen Puma und der Fifa, der schließlich mit einem Vergleich endete. „Das war zwar lange nach den Dasslers“, sagt Fischer, „aber trotzdem klar gegen Puma gerichtet." Er überlegt kurz, dann sagt er: „Freunde, Feinde – das ist einfach unser Konkurrent. Und das bleiben sie für immer.“
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