Mittwoch, 19. Juni 2013

+++PSYCHOGRAMM EINES MAFIA-KILLERS, oder der Schlächter mit Ehrgefühl+++


Er galt als der "Vollstrecker". Im Bostoner Mafia-Prozess gegen James "Whitey" Bulger versucht Auftragskiller Johnny Martorano, sich als Mörder mit Prinzipien zu inszenieren. Doch im dramatischen Kreuzverhör offenbart sich ein Psychopath.

Sein letzter "Kill" setzte ihm dann doch zu, nach all den Jahren. Mike Donahue war das, ein alter Freund, ein Buddy - und ein Risiko. Als er zu plaudern drohte, wurde sein Tod beschlossen. "Wenn es getan werden muss", sagt Johnny Martorano lakonisch, "muss es getan werden."

Also habe er Donahue unter einem Vorwand nach Florida gelockt, habe ihn am Flughafen abgeholt, habe ihm die Autotür aufgehalten, habe gewartet, bis er sich gesetzt hatte, und habe ihm dann von hinten in den Kopf geschossen. Die Sitze habe er zuvor mit Plastik und Handtüchern abgedeckt, "damit es keine Sauerei gibt".
Wie er sich danach gefühlt habe? "Ganz schön schlecht", grunzt Martorano, 72, ins Mikrofon. "Das war mein letztes Ding, dann hörte ich auf." Mord Nummer 20, so viele hat er gestanden. Doch alles hier ist relativ.

Saal 11, US-Bezirksgericht in Boston: Martoranos zweiter Tag im Zeugenstand. Der ergreiste Auftragskiller, den sie "Henker" und "Schlächter" nannten, ist Kronzeuge im Prozess gegen seinen früheren Kumpel James "Whitey" Bulger. Einst einer der berüchtigsten Gangsterbosse der US-Geschichte, ist Bulger, 83, jetzt unter anderem wegen 19 Morden angeklagt.

Und Martorano, sein "Vollstrecker" a. D., soll ihm mindestens elf davon anhängen. Das ist sein Deal mit der Justiz, wofür er im Gegenzug nur zwölf Jahre sitzen musste.

Martorano stilisiert sich als Monster mit Ehrgefühl, Stolz, "Integrität", dessen Taten ethisch gerechtfertigte, geschäftliche Transaktionen gewesen seien in ihrer Schattenwelt: "Ich hatte nie Freude daran."

Tony Soprano light

Doch die Strategie geht nicht auf. Während Martorano am Montag, assistiert von Staatsanwalt Fred Wyshak, noch unwidersprochen sein Resümee des Todes herunterrasseln konnte, nimmt Bulgers Anwalt Hank Brennan ihn nun aggressiv ins Kreuzverhör. Da hilft es wenig, dass Martorano diesmal ein blutrotes Einstecktüchlein trägt.

Statt eines Gentleman-Killers offenbart sich da ein Psychopath. Dessen Zerrbild von Gut und Böse ist repräsentativ für den Schrecken, den Bulgers "Winter Hill Gang" jahrzehntelang verbreitete. Martorano könnte einem billigen Mafia-Thriller entstammen - ein Tony Soprano light, ohne seelischen Tiefgang.

Brennan: "Sie haben Freunde ermordet?"

Martorano: "Korrekt."

Brennan: "Sie haben Fremde ermordet?"

Martorano: "Korrekt."

Brennan: "Sie haben Unschuldige ermordet, nicht wahr?"

Martorano: "Korrekt."

Brennan: "Aber sie mögen den Begriff Berufskiller nicht?"

Martorano: "Nicht besonders."

Auch ein Mörder hat Prinzipien. Geld habe er nie angenommen, beharrt Martorano. Und die 50.000 Dollar, die ihm die Gang nach dem Mord am Geschäftsmann Roger Wheeler gegeben habe? Das sei nur ein Ausdruck familiären "Danks" gewesen.

Von wegen Ehre

Roger Wheeler aus Oklahoma besaß einen Wettclub, dem die Bulger-Bande Schutzgeld abpresste, 10.000 Dollar pro Woche. Als Wheeler zur Polizei zu gehen drohte, erhielt Martorano die Order, "das Problem zu lösen".

Martorano: "Ich öffnete die Tür und schoss auf ihn."

Brennan: "Wohin schossen Sie?"

Martorano: "Zwischen die Augen."

"Hatte das, was Sie taten, Ehre und Integrität?", fragt Brennan. "Ich dachte schon", sagt Martorano und beginnt zu dozieren: "Familie und Freunde kommen zuerst (…). Das brachte mir mein Vater bei. Das brachten mir der Priester und die Nonnen bei, mit denen ich aufwuchs."

Priester, Nonnen, Blutsbande: Das Argument sticht nicht. Jack Banno, erschossen 1969: "Ich war mit einem Mädchen bei einem Date", sagt Martorano. "Ich konnte den Typ nicht ausstehen." Banno starb mit 20 Stichwunden auf der Straße. "Er hielt einfach nicht den Mund." Von wegen Ehre.

"Alles wurde blind nach dem ersten Schuss"

Martorano killte Gangster und Unschuldige, Männer und Frauen, Junge und Alte. Sie starben in der Telefonzelle, am Küchentisch, auf dem Beifahrersitz, auf dem Parkplatz, am Tresen. Fotos flimmern über den Bildschirm im Saal: Leichen, Tatorte, zerschossene Autos, bald sehen sich alle ähnlich, wie Szenen aus einem Film noir.

Brennan: "Gab es Morde, die nicht gerechtfertigt waren?"

Martorano: "Das müssen Sie mich schon spezifisch fragen, bitte."

Brennan: "Gab es ungerechtfertigte Morde?"

Martorano: "Ja, die zwei mit dem Smith-Typen."

Herbert Smith hatte Stevie Flemmi verprügelt, Bulgers rechte Hand. Martorano erschoss ihn im Auto, und die zwei "Silhouetten", die dabeisaßen, erschoss er gleich mit.

"Alles wurde blind nach dem ersten Schuss", erläutert er. "Versuchen Sie das mal, und Sie werden es sehen." Die beiden anderen Opfer waren unbeteiligte Teenager, Elizabeth Dickson, 19, und Doug Barrett, 17.
Und dann eben Mike Donahue. Nach zwei Jahrzehnten des Mordens war Martorano in Florida untergetaucht, gejagt von Paranoia. Nachdem er seinen Freund umgebracht hatte, verfrachtete er ihn gemeinsam mit seinem Komplizen Joe McDonald in den Kofferraum. Donahue habe noch geröchelt. Also habe McDonald noch ein paarmal auf ihn geschossen.

Und dann? "Wir gingen einen Kaffee trinken, um Zeit zu killen."

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