Montag, 27. Mai 2013

+++PETER KÜRTEN, oder warum der "Vampir von Düsseldorf" gerade heute Mahnung ist+++



Mit neun Jahren tötete er zum ersten Mal, als Erwachsener versetzte er eine ganze Stadt in Angst: 1913 begann ein Eisengießer eine der grausamsten Mordserien des 20. Jahrhunderts. Jahrelang tappte die Polizei im Dunkeln, bis sie endlich nützliche Hinweise erhielt - vom Mörder selbst. 

Die Straßen im Kölner Stadtteil Mülheim sind menschenleer, als sich in einer Frühlingsnacht 1913 eine hagere Gestalt an die Gastwirtschaft Zum Goldenen Ross heranschleicht. Das Licht in der Schankstube ist bereits gelöscht, die letzten Gäste sind nach Hause gegangen. Doch der Besucher ist nicht zum Trinken gekommen. Er dringt in die Wohnung der Gastwirte - der Familie Klein - ein und durchsucht die Schränke nach Wertsachen. Die schlafenden Wirtsleute bemerken nichts von dem ungebetenen Gast. Im Nebenraum hingegen ist jemand aufmerksamer: Die neunjährige Christine wacht auf. Es ist ihr Todesurteil. 

Als die Eltern am nächsten Morgen das Kinderzimmer betreten, ist ihre Tochter tot. Mit einem Taschenmesser hat der Einbrecher dem Mädchen die Kehle durchgeschnitten, wie die Polizei später ermitteln wird. Einen Tatverdächtigen gibt es auch sofort, denn auf dem Boden finden die Fahnder ein Taschentuch mit den verräterischen Initialen "PK": Der Onkel des Opfers heißt Paul Klein, seit langem ist er mit der Familie verfeindet. Indiz und Motiv scheinen perfekt zusammenzupassen. Doch die Ermittler können ihrem Hauptverdächtigen nichts nachweisen. Und so bleibt der grausame Mord ungesühnt. Vorerst. 

Erst 17 Jahre später wird sich herausstellen, dass ein anderer Mann mit den gleichen Initialen die Bluttat am 25. Mai 1913 begangen hatte - und nicht nur diese. 1930 bekennt sich der Eisengießer Peter Kürten zu einer der grausamsten Verbrechensserien des 20. Jahrhunderts. Es ist das Ende einer atemlosen Jagd, die über Jahre hinweg ganz Deutschland erschüttert hat. 

20 von 38 Lebensjahren im Gefängnis 

Schon die Jugend Kürtens, geboren als eines von 14 Kindern am 26. Mai 1883 in Mülheim bei Köln, war auffällig verlaufen: Als Sohn eines gewalttätigen Alkoholikers stieß er bereits als Neunjähriger zwei Spielkameraden in den Rhein und ließ sie ertrinken, er tötete Hunde und stahl als Lehrling in einer Eisengießerei. Es folgten Haftstrafen wegen der verschiedensten Delikte: Zechprellerei, Fahnenflucht, Körperverletzung, Erpressung, Unzucht, Einbruch, Brandstiftung und Meuterei im Gefängnis. Als Kürten 1921 seine spätere Frau Auguste kennenlernte, hatte er 20 von 38 Lebensjahren hinter Gittern verbracht. Doch seine furchtbarsten Verbrechen sollte er erst noch begehen. 

Am 3. Februar 1929 stach ein adretter Herr mit hoher Stirn und schnurgeradem Seitenscheitel im Düsseldorfer Osten auf die 55-jährige Apollonia Kühn ein. Fünf Tage später tötete derselbe Unbekannte im Stadtteil Flingern die achtjährige Rosa Ohliger mit einer Schere. Kaum hatten Polizisten die mit Petroleum verbrannte Leiche der Schülerin entdeckt, gab es ganz in der Nähe schon den nächsten Toten - jemand hatte den 54-Jährigen Rudolf Scheer am 12. Februar erstochen. Der Täter in allen Fällen: Peter Kürten. 

Doch die Ermittler tappten noch völlig im Dunkeln. Aufgrund von Zeugenaussagen und Untersuchungen der Opfer fahndeten sie nach einem Mittzwanziger, der mit einem Küchenmesser mordend durchs Rheinland zog. Kürten hingegen war 47 Jahre alt, und die meisten seiner Taten hatte er keineswegs mit einem Küchenmesser, sondern mit einer sogenannten Kaiserschere begonnen, auf der Wilhelm II. mit seiner Frau abgebildet war. Mit dem falschen Täterprofil trat die rund 40 Mann starke Mordkommission schon bald auf der Stelle. Daher lobten die Behörden für Hinweise zur Ergreifung des Killers 15.000 Mark aus - mitten in der Weltwirtschaftskrise eine gigantische Summe. Doch die Gräueltaten des Unbekannten nahmen einfach kein Ende. 

Post vom Mörder 

Am 11. August 1929 lud Kürten die Hausangestellte Maria Hahn zum Mittagessen ein. Dass der angebliche Angestellte der städtischen Gaswerke in Wirklichkeit ein blutrünstiger Mörder war, ahnte Hahn nicht - und begleitete den charmanten Herrn zu einem Ausflug ins Neandertal. Dort drückte der Killer der 20-jährigen die Kehle zu, stach danach auf sie ein. Nach diesem Mord scheinen auch die letzten Hemmungen Kürtens verschwunden zu sein. Fortan legte er kaum noch Pausen zwischen seinen Bluttaten ein: Innerhalb weniger Wochen tötete er die 14-jährige Luise Lenzen, die fünfjährige Gertrud Hamacher, die 31-jährige Ida Reuter sowie Elisabeth Dörrier, 22. Sein letztes Opfer vergewaltigte Kürten am 7. November mehrfach, dann fügte er der fünfjährigen Gertrud Albermann 30 Stichwunden zu, an denen sie verstarb. 

Angst und Hysterie der Stadtbewohner kannten nun keine Grenzen mehr: Bürgerwehren patrouillierten permanent durch Düsseldorf, die US-Zeitschrift "Time" berichtete von polizeibewachten Schulbussen, und selbst tagsüber spielten keine Kinder mehr auf den Straßen. Das preußische Innenministerium in Berlin entsandte ihre profiliertesten Spezialisten ins Rheinland. Dort gingen indessen täglich Dutzende Anzeigen bei der Polizei ein, insgesamt waren es innerhalb weniger Monate 12.000 Hinweise. Doch die waren keine Hilfe für die Ermittler. 

Denn Hunderte Düsseldorfer verdächtigten nun willkürlich ihre Nachbarn, psychisch Kranke beschuldigten sich selbst, Trittbrettfahrer nutzten die Panik für groteske Botschaften. "Schaffen Sie die kurzen Röcke ab, das macht die Männer pervers", schrieb etwa ein Unbekannter, "sonst morde ich noch mehr Weiber". In dem Wust anonymer Briefe fanden die Ermittler auch ein paar sonderbare Skizzen. Sie ahnten nicht, dass sie von Peter Kürten stammten. Der hatte im Herbst 1929 an Zeitungen und die Polizei vier Nachrichten geschickt, in denen er mit kindlicher Handschrift und simplen Malereien die Verstecke bislang nicht gefundener Leichen beschrieb. Tatsächlich entdeckten die Fahnder daraufhin die Opfer - doch dem Täter kamen sie noch immer nicht auf die Schliche. 

Erst der Zufall half nach: Im Mai 1930, als Kürten schon ein halbes Jahr lang nicht mehr gemordet hatte, lernte er Maria Budlies kennen. In gewohnt höflicher Art stellte sich der arbeitslose Eisengießer als Kriminalbeamter vor und lud die junge Frau erst in seine Dachgeschosswohnung, dann zu einer Fahrt ins Grüne ein. Dort fiel Kürten über Budlies her, würgte und vergewaltigte sie - doch ließ er sein Opfer dieses Mal am Leben. 

"Die Opfer haben es mir leicht gemacht" 

Wenige Tage später führte Budlies die alarmierten Ermittler zu Kürtens verlassener Wohnung, und schon tags darauf um 15 Uhr erwischten die Beamten den Täter vor der Düsseldorfer Rochuskirche - dort klickten an diesem 24. Mai 1930 endlich die Handschellen. Kürtens Kommentar bei seiner Verhaftung: "Da habt ihr aber lange für gebraucht." 

Dafür ging nun alles umso schneller. Die Anklageschrift warf Kürten neun Morde, 32 Mordversuche, drei Überfälle, eine versuchte Notzucht und 27 Brandstiftungen vor. Nachdem bekannt wurde, dass der Killer jeden Tag auf der Suche nach Mordopfern um die Häuser gezogen war und das Blut einiger Sterbender getrunken hatte, nannte die Presse ihn nur noch den "Vampir von Düsseldorf". Am 13. April 1931 begann schließlich das Verfahren vor dem Düsseldorfer Schwurgericht. Angesichts der Fülle der Gräuel sah alles nach einem Mammutprozess aus. Doch Kürten verkürzte das Procedere - mit einem erschreckend detaillierten Geständnis. 

Der Serienmörder plauderte bereitwillig über seine Taten, seinen "starken sexuellen Trieb" und die angebliche Mitschuld der Getöteten: "Die Opfer haben es mir leicht gemacht." Als Motiv gab der vielfach Vorbestrafte an, zeigen zu wollen, "dass lange und so schwere Strafen weit davon entfernt sind, den Verbrecher zu bessern, sondern den Gefangenen in einen Hass gegen die Menschheit hineintreiben". Immer wieder betonte Kürten, dass er krankhaft triebgesteuert sei, doch die vier bestellten Gutachter waren anderer Meinung: Der Angeklagte sei voll zurechnungsfähig, diagnostizierten die Psychiater. Nach zehn Tagen war der Jahrhundertprozess daher schon vorbei - mit einem drastischen Urteil. 

Die Richter verurteilten ihn am 22. April neun Mal zum Tode und zusätzlich zu 15 Jahren Zuchthaus. Peter Kürten starb im Morgengrauen des 2. Juli 1931 in der Haftanstalt Köln-Klingelpütz unter dem Fallbeil. Der Rundfunk berichtete über die Hinrichtung des berühmten Serienmörders mit einer Live-Reportage. 

Anschließend wurde der kopflose Leichnam des Ausnahmeverbrechers bestattet, während Wissenschaftler Kürtens Kopf auf Abnormitäten untersuchten. Offenbar hofften sie, in seinem Gehirn einen Grund für die ungeheure Mordlust und Grausamkeit des Hingerichteten zu finden. Ihr einhelliger Befund: Es war völlig normal.

Bei allen unvorstellbaren Taten der heutigen Zeit bleibt die Frage, ob nichts aus der Vergangenheit gelernt wurde!


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