Papst Franziskus bringt frischen Wind in den Vatikan. Er verdammt die Verbrechen der Mafia, schiebt die Kurienreform an und will die Machenschaften der Vatikanbank offenlegen. Nebenher soll er sich angeblich als Teufelsaustreiber betätigen. Eine Zwischenbilanz.
Es gab diesen seltsamen Moment nach der Pfingstmesse auf dem Petersplatz. Papst Franziskus traf Kranke und Geplagte, schüttelte Hände, strich väterlich über Wangen. Eine Videoaufnahme zeigt, wie ein adrett gekleideter mexikanischer Priester der erzkonservativen Legionäre Christi dem Pontifex einen Mann im Rollstuhl vorstellt und um Hilfe bittet.
Franziskus' Blick wird ernst, er legt dem Kranken beide Hände auf den Kopf und fängt an, intensiv zu beten. Der Mann im Rollstuhl atmet schwer, er schnappt nach Luft, fast scheint es, er müsse sich übergeben. Dann sinkt er entkräftet nach hinten. Francesco deutet eine Verbeugung an und geht weiter.
Was war geschehen? Der Sender TV 2000, Sprachrohr der italienischen Bischofskonferenz, befragte "Experten" und kam zu dem Schluss: Es war Exorzismus in Reinkultur. Da half auch das Dementi von Vatikansprecher Federico Lombardi wenig, der erklärte, Franziskus habe lediglich "für einen leidenden Menschen gebetet".
"Ich glaube an die Existenz des Teufels"
Tatsächlich hat der neue Papst mit seinen Predigten den Teufel wieder auf die Agenda gebracht, nachdem der Kampf gegen den Antichristen unter Benedikt XVI. in den Hintergrund getreten war. "Ich glaube an die Existenz des Teufels", sagt Jorge Bergoglio 2010 im Gespräch mit dem argentinischen Rabbiner Abraham Skorka. Es sei des Dämons vielleicht größter Erfolg, "dass er uns glauben macht, dass es ihn nicht gibt".
Der Leibhaftige verwirrt, betrübt und schafft Hindernisse - das glaubte schon der Gründer des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola. Bergoglio steht fest in dieser Tradition. Doch im Amt geht er weit über die kontemplative Grundhaltung der Jesuiten hinaus.
Die Skandale um die Vatikanbank IOR (Institut für die religiösen Werke) überschatteten schon das Pontifikat von Benedikt XVI. Franziskus nähert sich dem Problem auf seine Art - mit kleinen, aber aussagekräftigen Entscheidungen.
• Bereits im April verfügte er, dass den fünf Mitgliedern der leitenden Kardinalskommission des IOR die monatlichen Boni von 2100 Euro gestrichen werden. Sämtliche Kardinäle verdienen jetzt einheitlich 5000 Euro im Monat.
• Die üblicherweise bei der Wahl eines neuen Papstes ausgegebene Sonderzahlung an die 4000 Angestellten des Vatikans fiel aus. Nach der Wahl Benedikts XVI. im Jahr 2005 hatten sie je 1500 Euro erhalten.
• In der Vergangenheit hatte es immer wieder Vorwürfe gegeben, die Mafia würde über das IOR Geld waschen. Das Prüfinstitut des Europarats Moneyval bemängelte im Juli 2012, dass der Vatikan nur neun von 16 Transparenzkriterien erfüllt. Die Namen der Besitzer von Nummernkonten sollten endlich offengelegt werden, forderte der Pontifex.
Am 22. Mai präsentierte die noch von Benedikt XVI. eingesetzte Finanzaufsicht des Vatikans (AIF) ihren Jahresbericht. Man habe 2012 sechs verdächtige Aktivitäten innerhalb des IOR aufgedeckt, sagte der aus der Schweiz stammende AIF-Leiter René Brülhart. In zwei Fällen habe die Vatikan-Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen. Jetzt will Brülhart sämtliche Kontoinhaber der Vatikanbank überprüfen und die Ergebnisse in den kommenden Monaten vorlegen.
"Apostolischer Eifer beinhaltet immer auch ein Element des Wahnsinns"
"Wenn die Kirche bürokratisch wird, verliert sie ihre ursprüngliche Substanz. Ämter sind notwendig, aber nur bis zu einem gewissen Punkt", wandte sich der Papst im April an Vertreter des IOR. Damit deutete er an, was viele vor allem nicht italienische Kardinäle inzwischen laut denken: Dass die Vatikanbank angesichts ihrer unrühmlichen Vergangenheit und der anhaltenden Transparenzprobleme auch einfach aufgelöst werden könnte. "Das IOR ist nicht maßgeblich, es ist kein Sakrament und kein Dogma", sagte etwa der nigerianische Kardinal John Onaiyekan. Der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn spekulierte darüber, das Institut komplett aufzulösen und das auf sechs Milliarden Euro geschätzte Vermögen über eine externe Bank zu verwalten. Der Vatikan dementierte.
Ein konsequenter Schritt des Papstes war die Einsetzung einer Kommission aus acht Kardinälen, die ab Oktober über eine Reform der Kurie beraten sollen. Die war zuletzt durch interne Machtkämpfe vor allem der italienischen Kardinäle in Misskredit geratenen. Jetzt soll der Regierungsapparat verschlankt, sollen Aufgabenbereiche neu verteilt, soll die Kurie internationalisiert werden. Revolutionär ist die Zusammensetzung des neuen Gremiums: Die Mitglieder kommen aus fünf Kontinenten. Nur ein einziger Italiener schaffte es in den "Rat der Weisen". Auch der deutsche Kardinal Reinhard Marx ist dabei.
Bei aller Dogmentreue gebärdet sich Franziskus manchmal wie ein junger Wilder, verurteilt faule Kompromisse und warnt seine Schäfchen davor, es sich in der "christlichen Komfortzone" allzu bequem zu machen. In Anlehnung an die Vehemenz des Apostels Paulus sagte er: "Apostolischer Eifer beinhaltet immer auch ein Element des Wahnsinns."
In einer Predigt am 16. April, dem Geburtstag seines Vorgängers Benedikt XVI. kritisierte der Papst unverhohlen die Reformfeindlichkeit der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. "Haben wir in den 50 Jahren alles getan, was uns der Heilige Geist im Konzil gesagt hat?" fragte er. "Nein", so die unmissverständliche Antwort. "Wir wollen nichts verändern. Mehr noch: Es gibt Stimmen, die sagen, dass wir umkehren müssen." Dies sei pure Dickköpfigkeit, der törichte Versuch, "den heiligen Geist zu zähmen".
Jesus, nicht Franziskus
Auch mit dem organisierten Verbrechen geht Franziskus hart ins Gericht. Vor wenigen Tagen verurteilte er in seinem Sonntagsgebet die Schandtaten der Mafia, "die Männer, Frauen und Kinder ausbeutet und sie zu Sklaven macht". Anlass war die Seligsprechung des Priesters Giuseppe Puglisi, den die Cosa Nostra im September 1993 in Palermo mit einem Genickschuss hingerichtet hatte. Sein gewaltsamer Tod erschütterte selbst Kollaborateure der Mafia - war er doch ein untrügliches Zeichen dafür, dass die bisweilen mit Inbrunst frömmelnden und mit der Kirche kooperierenden Mafiosi sich einen Teufel um die Religion scheren.
Nun ist die Seligsprechung mitnichten ein Verdienst Bergoglios. Den langwierigen Prozess angestoßen hatte der ehemalige Erzbischof von Palermo, Kardinal Salvatore De Giorgi, bereits im Jahr 1999. Aber der Akt kommt zu einem für Franziskus günstigen Zeitpunkt. Denn die Gläubigen warten auf Signale.
Dass Franziskus Pomp und Personenkult abgeneigt ist, ist eine seiner bekanntesten Tugenden. An Pfingsten forderte er Zehntausende Gläubige auf dem Petersplatz auf, in Zukunft nicht mehr seinen Namen, sondern den des Herrn zu rufen: "Ab jetzt nicht mehr Franziskus, sondern Jesus, in Ordnung?" Diese direkte Ansprache und sein unprätentiöses Auftreten sorgen immer wieder für Begeisterung unter den Katholiken.
Der "Franziskus-Stil" setze sich auch innerhalb der Kirche durch, frohlocken italienische Kommentatoren. Dennoch kann man bisher nur von Zeichen sprechen. Kraftvollen Demonstrationen einer anderen Weltsicht zwar. Aber keiner Abkehr von den Dogmen.
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