Donnerstag, 16. Mai 2013

+++DIE NEUE S-KLASSE, oder Dieter Zetsche´s neuer Stern geht auf+++









Luxus und Hightech - dieser Mix ist das Erfolgsrezept der Mercedes S-Klasse. Auch die neue Generation der Limousine wurde mit hollywoodreifen Gadgets vollgestopft und jetzt vorgestellt. Das Revolutionärste an dem Auto ist aber: In weiten Teilen ist es gar nicht neu.

Wenn es um die Weltpremiere der neuen S-Klasse geht, lässt sich Mercedes-Benz nicht lumpen. Am Mittwochabend präsentierte der Stuttgarter Autohersteller sein neues Flaggschiff im Airbus-Werk in Hamburg Finkenwerder. Weil es nach Meinung der Daimler-Manager so gut passt, wurde "die Königin der Straße", wie die eigens einbestellte Moderatorin Judith Rakers sagte, im Quasi-Zuhause "der Königin der Lüfte, dem Airbus A 380", vorgestellt.

Rund 750 Gäste waren an die Elbe geeilt, um der Premiere beizuwohnen. Unter ihnen Niki Lauda, Franz Beckenbauer, Vicky Leandros, und - sozusagen als Gastgeber - EADS-Chef Thomas Enders. Sie alle drängten sich in einem gigantischen Zelt, das Mercedes extra neben den Airbus-Werkshallen errichtet hatten und auf dessen Bühne eine Abgesandtschaft der Hamburger Symphoniker aufspielte.
Dann öffnete sich die Rückwand der Halle, dahinter stand ein Airbus A 380, davor weiße Mercedes-Modelle aller Typen. Ein Feuerwerk setzte ein, die weißen Autos führten dazu ein Ballett. Als die Show vorüber war, fuhr eine völlig nasse, silberne S-Klasse in die Halle auf die Bühne. A us dem Fond stieg: Alicia Keys - die sich dann an den Flügel setzte und sang.

Das war wirklich großes Kino, doch zur Weltpremiere verteilte Mercedes auch ein 120-seitiges Papier, das die technischen Besonderheiten des neuen Autos beschreibt. Der beeindruckende Packen suggeriert, dass an diesem Wagen wirklich alles neu ist. Das stimmt so aber nicht. Tatsächlich wurde die Bodengruppe des bisherigen Modells (interner Code W221) weitgehend beibehalten, was zur Folge hat, dass Mercedes für das nagelneue Auto (interner Code W222) eine Freigabe vom Kraftfahrtbundesamt erhielt, die lediglich auf einer Erweiterung der bisherigen Typklassengenehmigung für das alte Modell basiert.

Die neue S-Klasse ist irgendwie auch ganz die Alte

Formal also ist die neue S-Klasse eine überarbeitete alte. Warum? Weil durch diesen Trick Mercedes für den Wagen weiterhin das bisherige, für wirklich neue Autos nicht mehr zulässige Kältemittel R134a verwenden darf. Ein Punktsieg für das Unternehmen, das in Sachen Kältemittel seit Monaten auf Konfrontationskurs liegt mit den Herstellern der neuen Substanz R1234yf, , den Chemiefirmen Honeywell und DuPont sowie mit den EU-Behörden.

Gleichzeitig ist die Entscheidung, eine ganz neue S-Klasse auf der Plattform der alten aufzubauen, auch unabhängig vom Kältemittelstreit eine wegweisende. Es ist ein Fingerzeig, dass klassische traditionelle Automobiltechnik, wie Fahrwerk oder Motorisierung, in Zukunft eine untergeordnete Rolle bei der Neuentwicklung von Autos spielen werden. Stattdessen wird es vielmehr um die Perfektionierung von Komfort und die Erhöhung der Sicherheit gehen. Nicht zuletzt durch die fortschreitende Digitalisierung.

Mehr Digitalisierung - auch in der S-Klasse

Und in dieser Hinsicht wird die neue S-Klasse ihrer Vorreiterrolle durchaus einmal mehr gerecht. Noch mehr als andere Hersteller verknüpfen die Ingenieure von Daimler bereits vorhandene Hardware in der neuen S-Klasse noch cleverer. "Unser Auto hat sechs Augen und sechs Ohren. Das klingt nach Frankenstein, sieht aber viel besser aus", wagt Daimler-Chef Dieter Zetsche bei der Präsentation einen kleinen Scherz.

Gemeint sind damit die Kameras und Radarsensoren, die die neue S-Klasse an Bord mitführt - und die ganz neue Features zulassen: So sieht das Auto jetzt auch nach hinten und blockiert zum Beispiel die Bremsen, sobald ein potentieller Unfallgegner von hinten heranrauscht. Die Verkehrszeichenerkennung sieht nun auch Schilderkombinationen wie etwa die beiden Einfahrt-Verboten-Zeichen an Autobahnauffahrten - also eine Art letzte Warnung für potentielle Geisterfahrer. Zudem weiß der Spurhalteassistent, ob die Fahrbahnmarkierung durchgezogen oder gestrichelt ist.

Stolz sind die Ingenieure auch auf die Massagesitze "mit 14 separat ansteuerbaren Luftkissen und integrierter Wärmefunktion", die nach dem sogenannten Hot-Stone-Prinzip Verspannungen der Insassen vorbeugen sollen. Zusätzliche Behaglichkeit versprechen beheizbare Armauflagen in Türen und Mittelkonsole, eine Neuerung, auf die bislang noch keine andere Entwicklungsabteilung kam.

Fahren auf dem fliegenden Teppich

Das gilt auch für das System Road-Surface-Scan, bei dem eine Stereokamera die Fahrbahn unmittelbar vor dem Auto nach Unebenheiten abtastet und diese Erkenntnisse binnen Sekundenbruchteilen ans luftgefederte Fahrwerk weiterreicht, das sich dann blitzschnell darauf einstellt. Man hört von Leuten, die bereits mit dem Wagen gefahren sind, die S-Klasse bewege sich wie ein fliegender Teppich.

Vor allem Vielfahrer auf der Rückbank dürfte das freuen. Zumal Mercedes für den Fond gleich fünf verschiedene Sitzvarianten anbietet, darunter ein sogenanntes Executive-Modell, dessen Lehne um bis zu 43,5 Grad geneigt werden kann. So wird aus dem rollenden Büro ein rasendes Ruhelager. Schließlich ist die neue S-Klasse nach Mercedes-Angaben "das leiseste Auto im Segment", was unter anderem an kiloweise Dämmstoffen und einer gegenüber dem Vorgängermodell verbesserten Aerodynamik liegt - erkennbar zu Beispiel an den besonders geschmeidig geformten Außenspiegelgehäusen oder den in die Heckleuchten integrierten Abrisskanten.

An Bord sind 500 LED

Als weltweit erstes Auto fährt die S-Klasse ohne Glühlampen vor, die komplette Beleuchtung wurde auf LED umgestellt, was den Stromverbrauch für die Lampen auf ein Viertel der bisherigen Energiemenge reduziert. Insgesamt ist der Wagen mit knapp 500 LED bestückt - etwa 300 im Innenraum sowie je 56 in den beiden Frontscheinwerfern, je 35 in den Rückleuchten und 4 in der Nebelschlussleuchte.

Dazu kommt eine Mehrpegelfunktionalität. So nennt Mercedes eine Steuerung, die Bremslichter und Blinker bei Dunkelheit oder während eines Ampelstopps so abdimmt, dass die Menschen hinter dem Auto nicht durch allzu grelles Licht gestört werden. Außerdem macht es eine schlaue Elektronik möglich, immerzu mit Fernlicht zu fahren, weil Verkehrsteilnehmer vor dem Auto erkannt und daraufhin aus dem Lichtkegel ausgeblendet werden.

Neben den sichtbaren Lichtquellen strahlt die S-Klasse auch mit zwei Infrarotleuchten in die Dunkelheit. In Verbindung mit einer Infrarotkamera ergibt sich daraus ein Nachtsichtassistent, der zum Beispiel Menschen und Tiere schon weit vor dem Auto erkennt und sie auf der Darstellung im Cockpitbildschirm auffällig markiert. So sollen Unfälle aufgrund von Dunkelheit und schlechter Sicht vermieden werden.

Die Motoren sind kaum von Interesse

Schlaue Scheinwerfer, wohltuende Sitze, vorausschauende Fahrwerke - interessiert bei so einem Fahrzeug eigentlich noch, wodurch es angetrieben wird? Die vier Motorisierungen, die es zum Verkaufsstart geben wird, sind jedenfalls nicht neu, sondern schon länger im Einsatz.

Es handelt sich um einen V6-Diesel mit 258 PS, einen V8-Benziner mit 455 PS und um einen Benzin-Hybrid-Antrieb aus V6-Benziner mit 306 PS plus einer 27 PS starken E-Maschine. Kurz darauf wird es auch einen Diesel-Hybrid geben, mit 204 PS starkem Vierzylinder-Selbstzünder plus E-Motor (27 PS). Ein Plug-In-Hybrid-Modell sowie eine extrapotente AMG-Variante werden später folgen. Serienmäßig wird der Wagen mit einer 7-Gang-Automatik ausgestattet.

In puncto Spritverbrauch fährt das neue Modell durchaus in die richtige Richtung. Das Benzin-Hybrid-Modell schluckt im Durchschnitt 6,3 Liter, der Diesel-Hybrid gar nur 4,4 Liter Kraftstoff je 100 Kilometer. Und mit dem S 500 Plug-In-Hybrid, der noch folgen wird, werde sogar eine 3 vor dem Komma erreicht, heißt es bei Mercedes. Wohlgemerkt, das sind allesamt Prüfstandswerte - in der Praxis muss man da wohl locker 50 Prozent aufschlagen.

Trotzdem sind die Effizienzfortschritte beachtlich. Und sie wären noch erfreulicher, wenn das Auto kein Trumm von rund zwei Tonnen Leergewicht wäre. Mercedes versucht nach Kräften, schon das als Erfolg zu verkaufen - immerhin sei das Gewicht des Wagens seit 20 Jahren in etwa gleich geblieben, heißt es. Man kann das so sehen. Schließlich wurde damals an eine Innenraumbeduftung, Massagesitze, Infrarotkameras oder Gurtschlossbringer mit beleuchtetem Einsteckschaft noch nicht einmal gedacht.

Weil China und die USA als Märkte für die S-Klasse für Mercedes immer wichtiger werden, und dort die betuchte Kundschaft üblicherweise einen Chauffeur beschäftigt, wurde erstmals in der Unternehmensgeschichte zuerst die Variante mit langem Radstand (Gesamtlänge 5,25 Meter) entwickelt und dann das Modell mit kurzem Radstand (Gesamtlänge 5,12 Meter) davon abgeleitet. Die Preise in Deutschland für die neue S-Klasse beginnen bei 79.789 Euro für den S 350 Bluetec mit kurzem Radstand.
Wird die neue S-Klasse ein Erfolg? Das lässt sich jetzt noch nicht sagen. Fahren durfte man in Finkenwerder bei der Präsentation nicht, nur schauen und anfassen. Immerhin war die Qualitätsanmutung der S-KLasse so, wie man sie früher gewohnt war. Beim Design wählte Mercedes einen eher konservativen Weg - was dazu führt, dass viele Menschen die S-Klasse wohl nur schwer von anderen Mercedes-Modellen unterscheiden können. Das ist die Kehrseite des Markengesichts.

So oder so ist nach dem Citan-Debakel der Erfolg der S-Klasse wohl auch entscheidend für das Schicksal von Daimler-Chef Dieter Zetsche. Bleibt zu hoffen, dass der Verlauf der Präsentation nicht als Omen für den Markterfolg werden wird: Denn Mercedes hatte bei der Organisation ganze Arbeit geleistet, nur das Wetter spielte nicht mit. Als die Show begann, zog ein heftiges Gewitter auf.



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