Dienstag, 5. März 2013

+++30 JAHRE GRÜNE IM BUNDESTAG, oder was machen die Ur-Ökos heute?+++


Zauselbärte, lange Haare, selbstgestrickte Pullies, Turnschuhe, Transparente – für viele Menschen war der erste Einzug der Grünen in den Bonner Bundestag am 29. März 1983 ein Schock. 30 Jahre ist das jetzt her. Was haben Sie bewirkt? Was ist aus ihnen geworden?​

Am 17. September 1982 zerbrach die SPD-FDP-Koalition. Bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 6. März 1983 gewannen die Grünen mit 5,6 Prozent der Zweitstimmen 27 Abgeordnetensitze. Mit einer riesigen Weltkugel als Luftballon, mit Blumen und Fichtenzweigen zogen die Grünen am 29. März 1983 mit lautem Tamtam und unter dem Beifall vieler Sympathisanten am Straßenrand durch Bonn und dann in den Bundestag ein.​


PROF. DR. HUBERT KLEINERT (58)

Lange blonde Haare, Schnauzbart, Politologe von der ultralinken Marburger Universität und bester Kumpel von Joschka Fischer. So kam Hubert Kleinert 1983 im deutschen Bundestag an. Heute ist er Politik-Professor an der hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung.​
„Ich war noch bis Ende 1990 Bundestagsabgeordneter“, sagt Kleinert. „Dann sind wir Grüne rausgeflogen. Ich sollte Grünen-Chef werden. Nachdem das nicht geklappt hatte, habe ich einen Job in der Hessischen Landesvertretung in Bonn übernommen. In der Zwischenzeit hatte ich meine Dissertation zu Ende geschrieben. 2000 wurde ich Landesvorsitzender der Grünen in Hessen.“​
Nachdem aber Roland Koch (CDU) 1999 neuer hessischer Ministerpräsident geworden war, wollten die schwarzen Machthaber in der Wiesbadener Staatskanzlei den Oppositionspolitiker loswerden. Sie boten ihm eine halbe Stelle als Dozent an der hessischen Verwaltungshochschule. „5000 DM bekam ich monatlich von den Grünen, dazu das halbe Gehalt vom Land“. Doch dann servierten die jungen Hessen-Grünen den Landesvorsitzenden Kleinert zunehmend ab. Sie wollten selbst Karriere machen.​

Kleinert: "Ich hatte keine Lust auf die Hinterbank in Wiesbaden. 2002 konnte ich Professor für Politikwissenschaft und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Polizei und Verwaltung des Landes Hessen werden. Ich griff zu und trat als Landesvorsitzender zurück".​
Sein letzter politischer Erfolg: "Ich konnte 2001 die erste schwarz-grüne Koalition in einem hessischen Landkreis einstielen. Sie hält bis heute".​
Kleinerts Bilanz nach 30 Jahren Grüne im Bundestag: „Die Welt hat sich seither gewaltig verändert - und die Grünen auch. Sie haben sich zu einer weitgehend „normalen" politischen Partei entwickelt, die auch einen gesellschaftlichen Etablierungsprozess durchgemacht hat und stärker in die gesellschaftliche Mitte gerückt ist. Wie ihre parteipolitischen Konkurrenten auch ist sie in erster Linie eine Machterwerbspartei geworden, die sich in erster Linie am Wahlerfolg orientiert. Sie haben mit ihren Themen das politische System verändert, zugleich hat das politische System auch die Grünen nachhaltig verändert.“​


ROLAND VOGT (72)


Er ist der geistige Vater des Grünen-Symbols Sonnenblume.
Der Pazifist Roland Vogt, ein früher politischer Weggefährte von Petra Kelly führte die Umweltaktivisten und Abrüstungsapostel zur Revoluzzer-Bewegung zusammen. Er erfand „ÖkoPax“. Im Bundestag saß der vollbärtige Zauselkopf  neben, Antje Vollmer, der späteren Bundestagsvizepräsidentin.​
Vogt, Jurist und Politologe, war wissenschaftlicher Assistent an der FU Berlin. Er hatte seit der 70er Jahren an Friedensprojekten geforscht, sich mit Kelly in der Europapolitik für Ökologie und Pazifismus engagiert.​
Um etwas für die Pfalz zu tun, die wirtschaftlich sehr abhängig von den dort stationierten US- und französischen Truppen war, gründete Vogt 1983 das Projekt „Konversion“. Vogt: „Es ging um die Frage: Wie können wir militärische Objekte zivil nutzen, wenn die Amis und Franzosen einmal abziehen? Das nennt man Konversion. Aber die etablierten Politiker haben uns ausgelacht. Sie frotzelten: Konversation, Konfusion, Konversion – was ist das?“​

Jahre später hätten die Ministerpräsidenten Scharping und Beck intensiv Konversionspolitik gemacht. Aber da war Vogt schon in Brandenburg, befasste sich mit dem Abzug der Russen.​
„Ein langjähriger Brief-Freund aus der DDR, der Mitbegründer des Neuen Forums Rudolf Tschäpe, hatte mich an die Staatskanzlei vermittelt.“, sagt er. „Brandenburg engagierte mich 1991 als Leiter des Arbeitsstabes Konversion, ab 1994 als Referatsleiter und Konversionsbeauftragten im Wirtschaftsministerium. 2006 bin ich in Rente gegangen.“ Von 2000 bis 2003 war Vogt Grünen-Chef in Brandenburg.​
Heute engagiert sich der Rentner (1300 Euro Rente) aus Bad Dürkheim in der Landes- und Bundesarbeitsgemeinschaft „Frieden und Internationales“ der Partei.​
Der Idealist sagt: „Ohne unsere Gegnerschaft gegen die atomare Mittelstreckenraketen in Ost und West hätten es die Grünen 1983 nicht in den Bundestag geschafft. Um so enttäuschter bin ich, dass die Grünen heute der Teilnahme an Kriegen zustimmen statt sich ausschließlich für gewaltfreie, zivile Konfliktaustragung einzusetzen.“​


DR. SABINE BARD (66)

Die Tierärztin saß im Bundestag in der ersten Reihe, gleich neben Ex-General Gerd Bastian. Dr. Sabine Bard war Vorsitzende des Forschungsausschusses, von März 1985 bis Februar 1986 Fraktionschefin der Grünen.
Die einzige Gesetzesvorlage, die die Grünen in dieser Legislaturperiode durchgebracht haben, ist das Einfuhrverbot von Schildkrötensuppe. Das Gesetz ging auf ihre Initiative zurück.​
„Aber nach zwei Jahren habe ich das Mandat vereinbarungsgemäß an den Nachrücker abgegeben“, sagt sie. Zwei weitere Jahre blieb die Grüne noch im Parlament, arbeitete als Mitarbeiterin in der Fraktion im Arbeitskreis für Umwelt. Der Wechsel sei okay gewesen, sagt sie. Inzwischen habe sich das Rotationsmodell überlebt. Bard: „Aber damals war das genau richtig, weil wir so in der Fraktion gleich viel mehr Leute zu Verfügung hatten.“​
Die Abgeordneten mussten damals die Hälfte ihrer Einkünfte „freiwillig spenden“. Davon wurden die anderen Mitarbeiter der Fraktion bezahlt.
Bard: „So hatten wir das gleiche Einkommen.“​

Ihr Mann, ein Lehrer, hatte sich beurlauben lassen, kümmerte sich als Hausmann um die Kinder Jakob und Sophie (1984 und 1986 geboren).​ 1987 ging Sabine Bard wieder zurück in ihren Heimatort nach Aichach bei Augsburg. Sie wurde Hausfrau,  kümmerte sich um die Kinder, den Bauernhof mit Reitstall für Kinder  - und wurde Kommunalpolitikerin.
„Ich war bis 2011 über 20 Jahre lang die einzige grüne Stadträtin in Aichach“, sagt sie. „In der Kommunalpolitik hat man persönlich mehr Einfluss als im Parlament. Das hat mir gut gefallen. Und ich habe sogar dann und wann mit der CSU gemeinsame Sache gemacht.“ Als Studentin war sie noch Kommunistin (Maoistin) gewesen!​
1996 trennte sich Bard vom Ehemann. Im Rahmen der Scheidung musste 2007 der Hof verkauft werden. Bard: „Ich bin in Rente gegangen und habe mir 2010 in Zittau in der Oberlausitz, der Heimat meiner Eltern, ein altes Fachwerkhaus gekauft. Das renoviere ich jetzt mit meiner Tochter. Wir haben zwei Ponys und ein paar Ziegen, deshalb guten Kontakt zu den Nachbarskindern.“​
Ihre Bilanz nach 30 Jahren Grüne im Bundestag: „Die Parteispitze muss jetzt endlich mal einen Generationswechsel vornehmen!“​


SO WURDE 1983 ÜBER DIE GRÜNEN GESPOTTET


► „Trojanische Sowjet-Kavallerie!“ Franz Josef Strauß (CSU)
► „Eine späte Vereinigung von Marx und Morgenthau.“ Otto Graf Lambsdorff (FDP)
► „Eine ernste Gefahr für unser Land.“ Otto Wolff von Amerongen, Ex-DIHT-Präsident
► „Ihr Horrorprogramm übertrifft die chinesischen Kommunisten an marxistischem Radikalismus“ Gerhard Stoltenberg (CDU, Ex-Finanzminister).

DIE SPRÜCHE DER ETABLIERTEN

​„Trojanische Sowjet-Kavallerie“ Franz Josef Strauß, Ex-CSU-Chef​.
„Diese Typen!“  Friedrich Zimmermann (CSU), Ex-Innenminister​.
„Eine späte Vereinigung von Marx und Morgenthau.“ Otto Graf Lambsdorff (FDP), Ex-Wirtschaftsminister​.


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