Mittwoch, 9. Oktober 2013

+++VK.COM, oder der Machtkampf um das Facebook Osteuropas+++


Wer kontrolliert Russlands größtes Social Network VK.com? Ein mysteriöser Investor hat 48 Prozent der Firma übernommen, will nun mit Werbung mehr Geld verdienen. Dem freigeistigen Gründer droht er mit Rauswurf. Der aber wittert eine Intrige des Kreml.

Die Entwickler des sozialen Netzwerks VK.com residieren wie Fürsten über den Dächern von Sankt Petersburg. 2012 hat das Unternehmen ein Jugendstilanwesen an der Flaniermeile Newskij Prospekt bezogen, das US-Diplomaten während des Ersten Weltkriegs als Botschaft nutzten. Vom Dach ragt eine verspielte Glaskuppel in den Himmel.

Hier schlägt das Herz eines digitalen Königreichs mit derzeit rund 200 Millionen registrierten Nutzern. Die meisten stammen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. In Russland ist VK.com Marktführer vor der US-Konkurrenz Facebook. Errichtet hat es der Russe Pawel Durow, Jahrgang 1984. Er hat VK.com 2006 gegründet, gemeinsam mit seinem Bruder Nikolaj und ein paar Kompagnons.
Mit zweien davon hat Durow sich überworfen. Das könnte ihm zum Verhängnis werfen. Beide haben im Frühjahr überraschend ihre Anteile verkauft und damit die Tür geöffnet für den Einstieg eines Investors, den Durow für einen Strohmann des Kreml hält.

Faible für Neo aus "The Matrix"

Ilja Scherbowitsch heißt der Geschäftsmann, der sein Geld mit Wertpapiergeschäften für die Deutsche Bank und russische Staatsunternehmen gemacht hat. Scherbowitsch saß auch ein Jahr im Aufsichtsrat von Rosneft, dem staatlichen Ölriesen, der von Igor Setschin gesteuert wird, einem engen Vertrauten von Präsident Wladimir Putin.

Pawel Durow hat ein Faible für die Science-Fiction-Trilogie "Matrix". Er kleidet sich gern wie der Cyber-Rebell Neo aus dem Film. Auf das Übernahmeangebot eines großen russischen Internetkonzerns antwortete er einmal, indem er via Twitter ein Foto seines ausgestreckten Mittelfingers verschickte. Weil er nicht raucht und nicht trinkt, gab es auf der Webseite nie Werbung für Zigaretten oder Alkohol. Weil Durow Anhänger libertärer Ideen ist, stellte er sich stur, als der Inlandsgeheimdienst FSB ihn aufforderte, Foren der Anti-Putin-Opposition zu schließen. VK funktioniert nach Durows Gesetzen, noch.

Werbung in homöopathischen Dosen

UCP, der Investmentfond des Geschäftsmanns Ilja Scherbowitsch, hält 48 Prozent des Unternehmens. Im Interview droht UCP dem Gründer Durow kaum verhohlen mit dem Rauswurf. Es gebe "in der Firma selbst und auf dem Markt genügend andere Talente", die VK.com führen könnten.

Durow hält das für ein Manöver der Staatsmacht, um ihn kaltzustellen. Als nach den Parlamentswahlen 2011 Zehntausende Russen gegen Wahlfälschungen demonstrierten, veröffentlichte Durow ein "Bürgerliches Manifest". Darin forderte er Freiheit für das Internet und hohe Strafsteuern für Öl- und Gaskonzerne, die wirtschaftlichen Pfeiler des Kreml. Als die inhaftierte Pussy-Riot-Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa im September in Hungerstreik trat, machte sich Durow für sie stark.



Scherbowitschs UCP betont, nur wirtschaftliche Ziele zu verfolgen. Der Geschäftsmann will mehr Geld durch Werbung verdienen. Sein Kalkül: Würde VK.com seinen Nutzern so viel Werbung präsentieren wie Facebook, könnte das Unternehmen seinen Gewinn um das Siebenfache steigern. Durow ist dagegen, er hat seinen Nutzern Werbebanner bislang nur in homöopathischen Dosen zugemutet.

Zugleich aber treibt Durow eigene Projekte voran. Über seine Firma Digital Fortress investiert er in neue Start-ups. Im Sommer ging Telegram an den Start, mit dem Durow dem Messenger-Dienst WhatsApp Konkurrenz machen will.

Der neue Anteilseigner prüft deshalb eine Klage. Durow spanne womöglich Programmierer des sozialen Netzwerks ein und nutze Ressourcen von VK.com für persönliche Zwecke. Telegram werde im iTunes-Store als "social network" vertrieben. Durow mache seinem eigenen Unternehmen Konkurrenz.

"Kein respektvolles Verhältnis zu den Aktionären"

UCP strebt deshalb ein Abkommen an, das die Abgrenzung von VK.com und der Durow-Firma Digital Fortress klar regelt, bislang ohne Erfolg. Der Gründer pflege "kein respektvolles Verhältnis zu den Aktionären", so ein UCP-Funktionär. Durow wirft dem Fonds im Gegenzug "Drohungen und Druck" vor, viele Programmierer wollten deshalb die Firma verlassen.

Die Folge ist ein Patt. Die meisten Programmierer sind dem Netzwerk-Gründer treu ergeben. Muss er das Unternehmen verlassen, werden sie ihm wohl folgen. Durow kontrolliert zudem das operative Geschäft, aber nur noch 12 Prozent der Anteile. Auf der anderen Seite hat Scherbowitschs UCP mit 48 Prozent auch keine Mehrheit.
Den Konflikt entscheiden könnte nur Alischer Usmanow, mit 18 Milliarden Dollar der reichste Mann des Landes. Seiner Mail.ru-Group gehören die übrigen 40 Prozent von VK.com. Usmanow verdankt sein Vermögen Gas- und Stahlgeschäften - und nicht zuletzt einem guten Draht zum Kreml. Politische Dissidenz gehörte dagegen nie zum Portfolio des Magnaten. Als ein zum Usmanow-Imperium gehörendes Nachrichtenmagazin nach den Parlamentswahlen 2011 einen Stimmzettel abdruckte, auf den ein wütender Wähler mit großen roten Buchstaben "Putin, f... dich!" geschrieben hatte, setzte Usmanow den Chefredakteur umgehend vor die Tür.

Im Machtkampf bei VK.com aber verhält sich der Oligarch bislang still. Er hat die Stimmrechte seiner Anteile an Durow übertragen. Dabei bleibt es. Es gebe ein "erhebliches Risiko, dass VK.com ohne Durow und sein Team an Wert verliert", so ein Sprecher. In Moskauer Wirtschaftskreisen kursiert aber noch eine zweite Erklärung, warum der 60 Jahre alte Usmanow den 29-jährigen Durow gegen alle Widerstände stützt: "Der mag ihn einfach."

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