Montag, 30. September 2013

+++Giftgas-Einsatz schon in der Antike+++


Schon in der Antike setzten Kriegsparteien chemische Kampfstoffe ein. So töteten Perser ihre römischen Gegner bei der Belagerung von Dura Europos mit Giftgas. Die Attacke in der syrischen Stadt wird bis heute für Propagandazwecke instrumentalisiert.

Dunkle, ölige Rauchwolken rollten auf die Männer zu, als hätte die Hölle sich aufgetan: ein tödlicher Cocktail aus Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und Schwefeldioxid. Sobald letzteres mit der Feuchtigkeit ihrer Augen und Schleimhäute in Kontakt kam, bildete sich ätzende schwefelige Säure. Binnen Sekunden verloren sie das Bewusstsein, wenige Minuten später waren sie tot.

Der Giftgas-Angriff, bei dem mindestens 20 Männer ums Leben kamen, liegt fast 1800 Jahre zurück. 19 der Toten waren Römer. Das 20. Opfer war vermutlich ein sassanidischer Soldat. Die Attacke fand im syrischen Dura Europos statt, etwa 50 Kilometer unterhalb des Zusammenflusses von Euphrat und Chabour, 45 Kilometer flussaufwärts der Grenze zum Irak.
Die Leichen entdeckte ursprünglich der französische Archäologe Robert du Mesnil du Buisson bereits bei Ausgrabungen in den frühen dreißiger Jahren. Er nahm jedoch an, die Soldaten seien entweder durch Schwerter der sassanidischen Angreifer oder durch ein Feuer ums Leben gekommen. Erst eine Neuinterpretation der Funde durch den britischen Archäologen Simon James von der University of Leicester brachte 2009 die grausame Wahrheit ans Licht: Sie wurden vergiftet von einer tödlichen Wolke.

Im Jahr 256 nach Christus hielten römische Streitkräfte Dura Europos besetzt, die Stadt war zu einem wichtigen militärischen Bollwerk in den Römisch-Persischen Kriegen geworden. Das sassanidische Heer belagerte die Mauern nach allen Regeln der Kriegskunst. Es war eine Kraftprobe zweier militärisch gleichwertiger Gegner. Die Römer hatten mit massiven Baumaßnahmen die Verteidigungsanlagen der Stadt quasi uneinnehmbar gemacht. Und die Sassaniden attackierten mit allem, was es an modernem Kriegsgerät gab.

Wettlauf der Tunnelbauer

Einer ihrer Pläne war, die Stadtmauer zu untertunneln. Genau unter dem heute als Turm 19 bekannten Abschnitt der Mauer sollte der Gang hindurchführen. Doch eine so große Erdbewegung war kaum vor den römischen Soldaten geheim zu halten, die von den Mauern auf die Belagerer hinabschauten. Den Einstieg hatten die Sassaniden noch zu verstecken versucht: Sie waren dazu in die Tiefe eines Grabes vor den Toren der Stadt hinabgestiegen.

Doch was sich nicht verbergen ließ, waren die Erdhaufen, die sie an die Oberfläche schaufelten. Direkt vor den Stadtmauern ist die Landschaft platt wie ein Teller. Den Aushub des Tunnels kann man selbst heute noch als riesigen Hügel in der Landschaft sehen. Um das Treiben zu unterbinden, gruben die Römer ihnen entgegen. Tief unter der Erde trafen die Gänge aufeinander.

Du Mesnil fand bei seinen Ausgrabungen die beiden Tunnel. Auf der römischen Seite entdeckte er die Ansammlung von mindestens 19 Toten. Ausgeraubt hatte die Leichen niemand, nur hastig aufgeschichtet: Einige trugen ihren letzten Sold noch bei sich, kleine Münzpäckchen unter der Rüstung. Du Mesnil notierte in seinen Grabungsaufzeichnungen den Gestank, der selbst nach 17 Jahrhunderten noch von den Toten ausging. In einem der Schädel steckten offenbar sogar noch die Reste des verwesten Gehirns. Offenbar starben die Soldaten in einer tödlichen Gaswolke.

Ein Stück weiter, kurz hinter der Stelle, an der die beiden Tunnel zusammentrafen, lag ein Skelett, das der Ausgräber als Sassanide identifizierte. Neben ihm lagen die Zutaten für einen Giftgas-Angriff: Stroh zum Entfachen des Feuers, einen Topf mit Bitumen und Schwefelkristalle.

"Gezielte Diffamierung"

Doch James glaubt nicht, dass dieser Soldat für den Tod der 19 Römer verantwortlich war. Denn die lagen nicht so, wie sie hingefallen waren, sondern waren wie menschliche Sandsäcke aufgeschichtet, um den Tunnel Richtung Stadt zu blockieren - sie müssen also schon tot gewesen sein, als der Sassanide sich ans Werk machte.

"Die Mauer aus römischen Körpern sollte Platz schaffen, um ein weiteres Feuer zu entfachen. Damit wollten die Sassaniden den römischen Tunnel zum Einsturz bringen, um ungehindert mit ihren eigenen Grabungsarbeiten fortfahren zu können", berichtet James. Der Sassanide wollte die Schwefelkristalle und das Bitumen als Brandbeschleuniger verwenden.

Am Ende aber war das Feuer schneller als er, der Sassanide vergaste sich versehentlich selber. Seine Körperhaltung lässt vermuten, dass er sich im Todeskampf noch die beengende Rüstung abstreifen wollte.

Chemiewaffen waren bei den Römern und auch zuvor bei den Griechen weit verbreitete Kampfmittel. Schon im Jahr 189 vor Christus entzündeten die Griechen in unterirdischen Tunneln in der Stadt Ambracia Haufen von Federn und trieben den beißenden Rauch mit Blasebälgen in Richtung der Römer. Was die Sassaniden also einsetzten, um den römischen Gegenangriff abzuwehren, war weder neu noch außergewöhnlich.

Trotzdem, berichtete James 2011 im "American Journal of Archaeology", nutzten verschiedene politische Interessengruppen seine Forschung für ihre Propagandazwecke - unter Verwendung wilder Thesen. Rechte Vertreter des Westens argumentierten, die Iraner hätten schon immer zu perfiden Methoden der Kriegsführung tendiert. Iraner sahen in der Geschichte eine gezielte Diffamierung, die auf ihr Atomwaffenprogramm abzielt.

Verzweifelte Minuten

Auch jetzt, fürchtet der Forscher, könnten seine Ergebnisse wieder in einen falschen politischen Kontext gerückt werden. "Ich war besorgt, wenn auch nicht überrascht, dass meine Deutung 2009 von verschiedenen Gruppen als Propaganda genutzt wurde", sagt James. "Das könnte auch jetzt wieder passieren."

Das gelte besonders vor dem Hintergrund, dass Iran als Bündnispartner von Syriens Diktator Baschar al-Assad eine wichtige Rolle in der derzeitigen Krise spiele. "Wir dürfen aber nicht vergessen", betont James, "dass Chemiewaffen - sowohl in der Antike als auch heute - eine Erfindung und Wiederentdeckung des Westens sind."
Das Tunnelprojekt brachen die Sassaniden zwar ab, am Ende eroberten sie die Stadt dennoch. Es war das Ende von Dura Europos. Niemand siedelte mehr dauerhaft in den Ruinen - weshalb sie bis heute so hervorragend erhalten sind. So hat nichts die einmalige Momentaufnahme aus dem Tunnel unter Turm 19 gestört.

"Während die Sassaniden wahrscheinlich Wochen an ihrem Tunnel gruben, und die Arbeiten der Römer wohl auch Tage dauerten, währten die Ereignisse vom Durchbruch der Römer bis zur Entfachung des Feuers im Tunnel durch den Sassaniden nur Minuten", schließt James seinen Bericht im "American Journal of Archaeology". In der Düsternis des Tunnels hätten die Männer "verzweifelte, alptraumhafte Minuten" erlebt. Die Funde vom Kampf unter Turm 19, meint James, zeigen "den ganz realen Horror antiker Kriegsführung".

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