Samstag, 24. August 2013

+++Göttliches Marketing, heilige Töne, oder Guiseppe Verdi´s Sakralmusik+++


Bigotte Religiosität war ihm ein Graus, dennoch schuf Giuseppe Verdi auch maßgebliche Werke für die Kirche. Dabei zeigte sich der große Komponist als leidenschaftlich Suchender - und bewies zudem ein gutes Gespür für effizientes Musik-Marketing.

Einen "Pfaffenfresser" ("mangiapreti") nennt Star-Dirigent Riccardo Muti den von ihm tief verehrten Komponisten Giuseppe Verdi. Natürlich nicht ohne Augenzwinkern, denn Verdi stamme ja aus der Emilia Romagna, wie Muti entschuldigend hinzufügt, wo schließlich alle "Pfaffenfresser" Italiens herkämen.

Das - und gottlob einiges mehr - erzählt Muti über seinen Lieblingskomponisten in seinem soeben erschienenen Buch "Mein Verdi" (Bärenreiter/Henschel). Trotz seiner Abneigung gegen bigotte Religiosität komponierte Verdi Maßgebliches für die Kirche. Und bei seinem 1898 erschienenem Spätwerk "Quattro Pezzi Sacri" geht es wirklich um heilige letzte Dinge. Aber dieses "heilig" ist bei Verdi natürlich nur die halbe Wahrheit, denn der politisch denkende Komponist profilierte sich musikalisch kaum als schlichter Betbruder, eher als leidenschaftlich Suchender.
Seine frühere Affäre mit dem Sakralen trug bereits hochdramatische Züge: Das 1874 donnernd gelandete "Requiem" erschien dem Publikum von Beginn an mehr als Oper denn als Totenmesse. Dazu noch die clevere Provokation des Schöpfers, sein Werk zunächst nicht in Kathedralen, sondern in Konzertsälen und Opernhäusern aufführen zu lassen, was für Entrüstung sorgte - und letztlich breiten Erfolg in ganz Europa. Effizientes Musik-Marketing ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Bis heute gehört sein "Requiem" zu den erfolgreichsten Werken der Konzertliteratur.

Ein Schock für sensible Hörer

Wie es in einem solchen Heiligtum brodeln kann, demonstrierte der opernerprobte Orchesterleiter Sir Antonio Pappano bereits 2009 mit seiner Einspielung des Verdi-Requiems, die nicht nur mit nobler Besetzung (Anja Harteros, René Pape, Rolando Villázon, Sonia Ganassi) überzeugte, sondern auch mit der instrumentalen Klasse der Accademia Nazionale di Santa Cecilia aus Rom. Pappano leitet dieses Orchester mit Hingabe neben seiner Cheftätigkeit an der Londoner Covent Garden Opera.

Jetzt spielte Pappano mit der Accademia auch Verdis Pendant zum Requiem, die "Quattro Pezzi Sacri" ein, live aufgenommen im November 2012 im orchestereigenen Konzertsaal. Dank kultivierter Akustik und Gesangstechnik verstört der kongeniale Chor der Accademia schon in den ersten fünf A-capella-Minuten sensible Hörer: "scala enigmata" (rätselhafte Reihe) nannte Verdi die verwendete Tonalität, die auf Dur und Moll verzichtet, auch nicht zwölftonig organisiert ist, jedoch mit krassen Intervallen überrascht. Dieses "Ave Maria" zu Beginn gipfelt sofort meditativ, keine Donnerschläge, kein Ewigkeitsschock.
Die folgen bald: Zum Beispiel beim machtvollen zweiten Satz, dem "Stabat mater", der forsch kontrastierend losorgelt und dem Orchester reichlich Gelegenheit bietet, große Gefühle auszuleuchten. Der feinsinnig zeichnende Pappano verzichtet darauf, Effekte vordergründig auszukosten, und erreicht so die dichte Verbindung von Chor und Instrumentalisten. Aus dieser konzentrierten Fülle lässt er dann die sorgfältig aufgebauten Höhepunkte und dynamischen Extreme umso heller leuchten. Die Sopranistin Donika Mataj setzt im abschließenden "Te Deum" vokale Glanzlichter, während nach halber Strecke des viertelstündigen Schlusssatzes das Blech wie bei "Aida" glänzt.

Vorzug für Verdi

Antonio Pappano, 1959 in Epping bei London geboren, erlernte wie es sich für einen künftigen Dirigenten gehört, zunächst das Klavierspiel, bevor er Komposition und Dirigieren studierte. Bereits mit 21 Jahren überzeugte er als Korrepetitor an der New York City Opera Daniel Barenboim, der ihn als Assistent nach Bayreuth verpflichtete. Dort debütierte Pappano dann 1999 mit dem "Lohengrin". Gemeinsam mit Plácido Domingo und Nina Stemme spielte er eine markante "Tristan und Isolde"-Version ein (2005), denn neben seinen Verdi-Aufnahmen überzeugen gerade auch seine differenzierten Wagner-Ideen. Bei den Salzburger Festspielen 2013 gab er allerdings wieder Verdi den Vorzug: Antonio Pappanos "Don Carlo"-Premiere mit den Wiener Philharmonikern erntete große Zustimmung.

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