Sonntag, 9. Juni 2013

+++SCHWEINSTEIGER IM TITELGESPRÄCH, oder warum der Chef noch nicht satt ist+++


BILD am SONNTAG: Was denken Sie, wenn Sie Ihre 13 Trophäen neben sich stehen sehen?

Bastian Schweinsteiger (28): Das sieht schon sehr, sehr schön aus. So gesammelt auf einem Haufen habe ich sie auch noch nie gesehen. Und ich muss sagen: Das macht Hunger auf mehr! Mein Titel-Hunger ist durch das Triple eher größer als kleiner geworden.

BamS: Es ist ja auch noch genügend Platz im Bayern-Museum.

Schweinsteiger: Ich bin ja auch erst 28. Und eigentlich ist es das perfekte Fußballalter. Ich spüre schon jetzt eine große Freude auf die kommende Saison. Und ich gehe davon aus, dass noch ein paar Trophäen hinzukommen.

BamS: Sie halten den Champions-League-Pokal im Arm, während Sie nach einer OP am Montag am rechten Fuß einen Spezialschuh tragen. Eine knöcherne Absprengung am Fersenbein machte Ihnen Probleme. Wie lange schon?

Schweinsteiger: Seit Februar. Passiert ist es im Rückrundenspiel in Mainz (3:0 am 2. Februar; d. Red). Anschließend musste ich das Länderspiel gegen Frankreich absagen. Und auch danach war dieser Mittwoch-Samstag-Rhythmus nicht immer einfach. Ich konnte mit dem Spann nicht mehr voll durchziehen. Die OP musste jetzt dringend gemacht werden.

BamS: Wie haben Sie so lange durchgehalten?

Schweinsteiger: Mit Spritzen und Tabletten. Ich wusste seit März, dass ich operiert werden muss. Aber es während der Saison zu machen, kam für mich nicht infrage.

BamS: Das Triple ist eine historische Leistung, die nicht mal der Generation Beckenbauer-Müller-Maier gelang. Beginnt nun eine neue Bayern-Titel-Ära?

Schweinsteiger: Das weiß ich nicht. Die genannten Spieler haben damals eine sehr große Ära geprägt, auch wenn sie nie das Triple geholt haben. Zu ihrer Zeit waren sie die Besten von Europa.

BamS: Jetzt sind Sie es!

Schweinsteiger: Das sehe ich anders. In meinen Augen ist Barcelona immer noch die Nummer eins in Europa.

BamS: Warum?

Schweinsteiger: Weil sie die letzten sechs Jahre auch auf internationalem Level unglaublich konstant waren. Man kann sich nach dem Gewinn eines großen Titels nicht sofort hinstellen und sagen: Wir sind jetzt die neue Nummer eins in Europa.

BamS: Barcelona bleibt also Bayerns Vorbild?

Schweinsteiger: In Sachen Konstanz, ja. Aber ansonsten haben wir hier in München eine eigene Art und Weise, wie wir den FC Bayern präsentieren. Genauso wie der FC Barcelona eine eigene Art hat, sich zu präsentieren. Wir sollten auch weiterhin unseren Mia-san-mia-Weg gehen. Und Barcelona wird seinen Weg mit dem Motto „més que un club“ (Katalanisch für: mehr als ein Verein) gehen. Es wird in Zukunft große Duelle zwischen diesen beiden Klubs geben.

BamS: Im Champions-League-Halbfinale demontierten Sie Barcelona. Sie gewannen das Hinspiel 4:0, das Rückspiel 3:0. War das perfekter Fußball?

Das war nah dran. Ich meine: Im Hinspiel in München gegen Barcelona ist uns Perfektion in Sachen Taktik gelungen. Wir haben von der vorigen zu dieser Saison eine richtig gute Entwicklung gemacht.

BamS: Welchen Anteil hat Jupp Heynckes daran?

Schweinsteiger: Er war der entscheidende Mann! Jupp Heynckes hat es geschafft, uns als eine echte Mannschaft aufzustellen. Jetzt machen wirklich alle nach vorne UND nach hinten mit. Dass vor allem die Offensivspieler sehr viel defensiv gearbeitet haben, war der Schlüssel zum Erfolg. Ich habe versucht, sie dabei immer zu motivieren.

BamS: In welcher Form?

Schweinsteiger: Ich habe zum Beispiel oft zu Franck oder Arjen gesagt: Wenn ihr hinten den Ball gewinnt, kriegt ihr von den Zuschauern Beifall. Schaut euch dagegen Philipp an. Der kriegt keinen Applaus für einen gewonnen Zweikampf hinten. Weil es jeder von ihm erwartet.

BamS: Sie führen das Team als Chef im Mittelfeld. Mussten für Ihren Führungsstil aber oft Kritik einstecken.

Schweinsteiger: Aber nie von unserem Trainer oder meinen Mitspielern. Ich bin schon der Meinung, dass man eine klare Hierarchie in der Mannschaft haben muss. Aber vielleicht interpretieren Philipp und ich diese auf eine moderne Weise, die für einige Leute ungewohnt erscheint.

BamS: Trotzdem: Sie haben öffentlich Prügel bezogen!

Schweinsteiger: Klar musste ich einstecken. Aber ich spüre jetzt keine Genugtuung, wenn Sie das meinen. Mir ist diese Kritik gar nicht so ans Herz gegangen. Ich habe immer versucht, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Wie kann ich es schaffen, die Mannschaft noch besser zu machen? Wie schaffen wir es, die ganz großen Titel zu holen?

BamS: Hat geklappt.

Schweinsteiger: Es war an der Zeit, dass wir die Champions League gewinnen. Wir hatten es mit unserer Geschichte und unserer Leistung einfach verdient. Nur ein einziges Mal habe ich in dieser Saison gezittert.

BamS: Wann?

Schweinsteiger: In den letzten fünf Minuten im Achtelfinal-Rückspiel gegen Arsenal London. Ab dem 0:2. Da hatte ich Angst, dass wir vielleicht doch noch ausscheiden, unseren Traum wieder nicht verwirklichen. Dieses Gefühl hatte ich ansonsten nie.

BamS: Auch nicht in den ersten 30 Minuten im Finale gegen Dortmund?

Schweinsteiger: Nein, auch da nicht. Auch wenn Dortmund in der ersten halben Stunde sehr gut gespielt hat. Aber wir alle wussten auf dem Platz, dass Dortmund in den ersten Minuten sehr viel in Sachen Pressing investieren wird. Außerdem wusste ich, dass wir als Mannschaft extrem gefestigt sind.

BamS: Trotz des Traumas, vor einem Jahr das Champions-League-Finale dahoam gegen Chelsea im Elfmeterschießen verloren zu haben?

Schweinsteiger: Ich kann mich noch genau an die traurigen Gesichter aller Spieler in der Kabine erinnern. In all den Gesprächen danach war etwas Besonderes zu spüren. Da ist ein Spirit entstanden, von dem wir in dieser Saison profitiert haben – und von dem wir in Zukunft noch mehr profitieren werden.

BamS: Wie meinen Sie das?

Schweinsteiger: Man kennt sich jetzt noch besser. Es haben sich sportlich und menschlich Mechanismen gebildet. So wie bei Barcelona, die nahezu perfekt auf dem Platz harmonieren. Da greift ein Rad ins andere. Das wird man in Zukunft auch immer mehr beim FC Bayern sehen.

BamS: Sie schossen 2012 im Champions-League-Finale gegen Chelsea den letzten Elfer an den Pfosten. Gab es für Sie persönlich danach einen Moment, in dem Sie sich geschworen haben: Und ich hole mir das Ding doch!

Schweinsteiger: Der Moment, in dem ich meine Mitspieler in der Kabine gesehen habe. Und davor der Moment, in dem ich Uli Hoeneß oben im Stadion auf der Tribüne gesehen habe, wie traurig und niedergeschlagen er war. Diese Momente waren auch jetzt in Wembley vor dem Finale gegen Dortmund wieder in meinem Kopf.

BamS: War das auch der Grund, warum Sie Uli Hoeneß sowohl den Champions-League-Pott als eine Woche später auch den DFB-Pokal sofort reichten?

Schweinsteiger: Ja, ich wollte, dass er die Pokale bekommt. Das hatte absolut nichts mit seinen aktuellen Steuer-Problemen zu tun. Sondern damit, was er als Mensch, Manager und Präsident für Bayern München geleistet hat.

BamS: Bei der Siegerehrung in London durften Sie auf der Tribüne sogar Angela Merkel küssen.

Schweinsteiger: Ab jetzt wird das immer so gemacht (lacht). Sie war, glaube ich, froh, mich wiederzusehen. Und ich war auch froh, sie zu sehen. Ich würde es aber mehr als herzliche Umarmung bezeichnen.

BamS: Worüber haben Sie mit der Bundeskanzlerin gesprochen?

Schweinsteiger: Ich bin jemand, der – wenn jemand vertraulich mit mir spricht – das auch vertraulich behandelt. Das Wort Glückwunsch war aber schon dabei.

BamS: Von wem kam der überraschendste Glückwunsch?

Schweinsteiger: Usain Bolt hat nach der Meisterschaft eine SMS geschrieben. Frank Lampard (englischer Nationalspieler vom FC Chelsea; d. Red.) hat nach dem Champions-League-Sieg ebenfalls gesimst. Er hat gratuliert und gesagt, dass ich es verdient hätte. Das fand ich richtig, richtig stark! Ich habe ihm vor einem Jahr nach dem Finale auch gratuliert. Auch wenn es schwer war in dem Moment, aber er hatte es ja auch verdient.

BamS: Wie viel Sicherheit verleiht Ihnen der Gewinn des Champions-League-Pokals?

Schweinsteiger: Für das Selbstvertrauen ist er mit Sicherheit gut. Wir alle gehen mit breiter Brust in die neue Saison. Es kommt wieder ein Weltklasse-Trainer zu uns. Ich bin schon sehr gespannt. Aber es geht unter Pep Guardiola wieder von vorne los. Dann zählt das Alte wenig.

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