Sonntag, 9. Juni 2013

+++FREMDSCHÄMEN DÉ LUXE, oder die "Ballermann"- Ausgabe eines einstigen Sommerhits im ZDF+++






Das ZDF setzt neue Maßstäbe: Mit der Mallorca-Ausgabe von "Wetten, dass..?" hat der Sender eine Lektion in Sachen Fremdscham geliefert. Das lag vor allem am Moderator Markus Lanz, der eher durch Zoten auffiel, anstatt für angenehme Unterhaltung zu sorgen.

Eigentlich sollte "Wetten, dass ..?" aus Mallorca so etwas sein wie die Luxusversion einer Premiummarke. Große Gala. Hier prunkt das ZDF mit Protz. Immer wieder wurde denn auch die Arena in Palma de Mallorca stolz von oben in der Totalen gezeigt - seht her, die Deutschen sind da, und sie verstehen zu feiern! Vielleicht hätte man es den ganzen Abend bei dieser Perspektive belassen sollen und zeigen, wie das kleine Kolosseum da unten allmählich in die Dämmerung hineinglitzerte und feierlich funkelte. Wenn man dann noch zusätzlich den O-Ton durch beruhigende Walgesänge ersetzt hätte, wer weiß, vielleicht wäre diese Sendung zu retten gewesen.

Für einen so betont maskulinen Moderator wie Markus Lanz hätte ein so betont maskuliner Ort wie die Stierkampfarena eigentlich ideal sein müssen. Stattdessen war sein Auftritt von einer Qualität, die Engländer, deren Abwesenheit Lanz - wir sind in Mallorca! - mehrfach triumphal betonte, als "cringeworthy" bezeichnen würden, was mit "hochnotpeinlich" nur unzureichend übersetzt ist. Man krümmte sich nicht vor Lachen, sondern unter Schmerzen. Und schlimme Erinnerungen wurden wach, Erinnerungen an Wolfgang Lippert. Sogar seine Co-Moderatorin Cindy aus Marzahn wurde vom Publikum frenetischer beklatscht als der dieses Mal glücklose Lanz.
Immer wieder brandete Applaus auf, auch wenn die Komödiantin gar nicht im Bild war. "They applaud for Cindy!", musste Lanz dann seinem irritierten Gast, dem Schauspieler Gerard Butler, erklären: "For who?" - "For Cindy, Cindy aus Marzahn". Bezeichnend, dass ausgerechnet diese Kunstfigur mit ihren betonten Absetzbewegungen von der ganzen Veranstaltung den Zuschauern aus dem Herzen sprach: "Er reicht, Herr Lanz!", pflaumte sie ihren ziellos herumalbernden Chef an, oder: "Wir sind hier nicht auf'm Ponyhof!"

Unterhaltung auf niedrigem Niveau

Sie war nicht die einzige, von der sich Lanz wie am Nasenring durch die Manege ziehen lassen musste. Der Mantel des Schweigens, den wir über den Auftritt der neureichen Privatfernsehkreaturen, "die Geissens", decken wollen, sei nur kurz an der Stelle angehoben, wo Lanz sogar daran scheiterte, Carmen Geiss zu ihrem "Markenzeichen" zu bewegen, einem schrillen "Rooobert!". Geladen war unter anderem der Duschkopfhersteller Stefan Raab, den nicht ohne Grund irgendwann das Bedürfnis zur Klarstellung überkam: "Ich wollte nur kurz sagen, ich bin hier nur Gast in der Sendung." Trotz höflicher Zurückhaltung hätte man ihn stellenweise tatsächlich für den Moderator halten können. Etwa dann, als er mit Blick auf den Babybauch der Michelle Hunziker fragte: "Der Berlusconi kann's nicht lassen, oder?" Lanz dagegen mochten dazu nur schwiegersohnhafte Höflichkeitsfloskeln einfallen: "Wo genau bist du schwanger?"

Tatsächlich scheint die Schwangerschaft von Thomas Gottschalks früherer Co-Moderatorin der einzige Grund für ihre Einladung gewesen zu sein, ihre Schwangerschaft und die bevorstehende Hochzeit. Zwei weite Felder, die Lanz denn auch nach Kräften beackerte und dabei nicht aus dem Blick verlor, dass Hunziker übrigens einst die Assistentin seines Vorgängers gewesen ist. Zur Strafe für ihre verlorene Wette muss sie nun "mit mir moderieren". Fehlt nur noch, dass Gottschalk in einer der nächsten Sendungen als Gast geladen wird und ebenfalls seine Wette verliert; und alles, alles wäre wieder in Ordnung.

Wobei nur noch Wetten in Frage zu kommen scheinen, die sich bekiffte Schüler am Rande der Bundesjugendspiele oder Sportstudenten im Kraftraum ausdenken, wenn sie "mal was total Verrücktes" anstellen wollen. Ein Athlet hangelte sich eine Feuerleiter hinauf. Ein Athlet schlug Salti in Badehosen hinein. Ein weiterer Athlet knackte Walnüsse, indem er sich mit seinem Hintern darauffallen ließ. Und eine ganze Horde von Athleten bewegte ein Automobil mit Muskelkraft.

Scherze wie auf einer Klassenfahrt

Frauen sind entweder unförmig wie Cindy - oder ernten Komplimente, weil man ihnen ihre schwangerschaftsbedingte Unförmigkeit angeblich nicht ansieht. Männer haben entweder "Muskeln im Speckmantel" wie Robert Geiss oder Stefan Raab - oder müssen das Hemd über dem Sixpack öffnen, auf dass es von der Menge bestaunt werde wie ein besonders gelungener Show-Effekt: "Können wir nur einmal, weil's so toll ist, die Bauchdecke sehen? Kurz die Hemden anheben?"

Diese latent sexualisierte, in ihrer Häufung aber entschieden freudlose Körperlichkeit bereitete Verdruss. Es ist Lanz nicht vorzuwerfen, dass ihm für diese Show einfach die nötige Nonchalance und Wurschtigkeit fehlt. Seine Tragik besteht darin, dass er als Ersatz für diese Tugenden nur einen sportlichen Eifer ins Feld führt, der zwischen Häme und Anbiederung flackert und deshalb zuverlässig ins Verbissene kippt.

So unterbricht er in seinem Übereifer fortwährend eine tadellose Synchronübersetzerin, der er offenbar nicht traut, denn "die ist nur eingesprungen" für die echte Dolmetscherin, die ihren Flug verpasst habe. Als Michelle Hunziker nebenbei erklärt, sie frühstücke gerne hartgekochte Eier, bemerkt Lanz, dass ihm hier ein schlüpfriger Witz entgangen sein könnte und sagt, obwohl niemand lacht: "Ich weiß gar nicht, was daran so witzig sein soll." Witzig dagegen sollte sein, dass sich Gerard Butler unter dem Gegacker des Moderators einen Kübel Eiswürfel in die Hose kippen und dann aus dem "Erlkönig" vortragen soll.

Auf Kommando wird Lanz ganz ernst, wenn es um die beflissene "Saalwette" geht, für die das Publikum mehr als 500.000 Euro für die Flutopfer daheim spendete: "Ich hab's gewusst. Wir stehen zusammen, wenn's eng wird." Das "Queen"-Musical-Medley kann er nicht ankündigen, ohne den Kenner zu markieren. Er liebe die E-Gitarre in "We Will Rock You", wie "die so warm reinkommt". Am Ende der Sendung - und seiner Kräfte - verleiht Lanz dem Wettkönig seinen Preis glückwunschfrei mit den herzlichen Worten: "Andreas, komm! Dein Auto! Bitteschön. Nimm dein Auto, viel Spaß damit!".

"Jetzt hör' mal auf, nur Spaß"

Vollends aus dem Ruder lief die Sendung bei der Publikumswette. Lanz' Herausforderin versuchte, sich auf Knien unter der Limbostange hindurchzumogeln. Lanz widersprach, so gehe das nicht, aber die Herausforderin beharrte, genau so gehe das. Es hob an ein Gezanke zwischen den Kontrahenten, das Publikum murrte. Als endlich der Kandidatin doch noch ihre Reise nach Hawaii zugeschustert war, hatte Lanz das Publikum endgültig verloren. Pfiffe, Gejohle, Buhrufe. Stefan Raab: "Ich kann die Leute verstehen!" Lanz hilflos: "Nee, nee, is' in Ordnung, nee, nee, es ist, es ist ein schöner Tag heute. Jetzt hör' mal auf, nur Spaß."

Aber genau das ist "Wetten, dass ..?" eben nicht. Früher steckte dahinter vermutlich viel Arbeit, und es sah aus wie ein Spaß. Heute halten es die Verantwortlichen offenbar für einen großen Spaß, und es sieht aus wie Arbeit. 

Wäre diese Sendung ein Stier, man müsste sie erschießen.

SCHADE!



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