Montag, 17. Juni 2013

+++DIE ARCHE NERD, oder BLUESEED, ein staatenloses Kreuzfahrtschiff für Tüftler+++





Ein Kreuzfahrtschiff vor der kalifornischen Küste soll zur Insel für internationale Start-ups werden: Im schwimmenden Wohnheim außerhalb der amerikanischen Hoheitsgewässer sollen Nerds ohne US-Visum tüfteln können - bis sie eine der raren Green Cards ergattern.

An einem sonnigen Montagmorgen verkünden Max Marty und Dario Mutabdzija, nun endlich habe das Schiff seinen Hafen verlassen. 50 Start-up-Gründer hätten ihre Büros an Bord der "Blueseed One" bezogen und seien bereit, ihre Rechner zu starten. Etwa 22 Kilometer vor der Küste Nordkaliforniens, in staatenlosen Gewässern, werde das Schiff ankern. Und speziell vom US-Militär gedrillte Delfine würden es dort vor Piraten schützen, heißt es in der Pressemitteilung.

"Kampfdelfine. Piraten. Was für ein Blödsinn!", sagt Dario Mutabdzija und kichert. Die Idee war ein Aprilscherz - zumindest, was die Delfine angeht.
Geht es nach Mutabdzija und seinem Geschäftspartner Marty, wird ihr Projekt Blueseed im kommenden Jahr Gestalt annehmen. Sie wollen auf einem Kreuzfahrtschiff mehr als tausend IT-Unternehmer einquartieren. Außerhalb des US-Hoheitsgebiets, aber nur etwa eine Stunde vom Silicon Valley entfernt, soll eine Art Arche entstehen - für Start-ups, deren Gründer kein Arbeitsvisum für die USA erhalten haben, aber die von einer Karriere im Tal der Erfinder träumen.

"Blue" steht für das Meer, "Seed" für Keimzelle. Etwa 180 Meter lang soll diese Arche sein, mit Cafés, Fitnessstudio, Konferenzräumen, W-Lan und einer Crew von 300 Personen. Ein "Hightech-Studentenwohnheim" voller Nerds, so wirbt Blueseed für das Schiff. Am Heck soll die Flagge der Bahamas wehen.

"Das ist einfach die unternehmerische Lösung für ein ernstes Problem. Weil die Einwanderungsgesetze so streng sind, gibt es genug Kunden, die für unser Angebot zahlen würden", behauptet Mutabdzija. Mehr als 400 Start-ups aus 68 Ländern hätten sich um einen Platz beworben.

Bis 2020 werden 200.000 IT-Spezialisten fehlen

Sie interessieren sich für das Projekt, weil Barack Obamas angekündigte Einwanderungsreform, eines seiner wichtigsten Wahlversprechen, nicht vorankommt. Ende Januar haben Senatoren von Demokraten und Republikanern einen gemeinsamen Gesetzentwurf in den Kongress gebracht, seitdem steckt er dort fest. Die US-Einwanderungsbehörde erteilt höchstens 85.000 Arbeitsvisa pro Jahr - im April waren sie innerhalb weniger Tage vergeben. Die Visa sind auf höchstens sechs Jahre befristet.

Gründer haben kaum eine Chance - sie müssen mindestens eine Million Dollar investieren und mehr als zehn Arbeitskräfte beschäftigen können. "Wir wollen nicht, dass das nächste Intel in Indien oder China gegründet wird", sagte Obama bei einem Besuch im Facebook-Hauptquartier. Es spricht aber vieles dafür. Nach einer Studie ist die Quote von Start-ups im Silicon Valley, die von Immigranten gegründet wurden zwischen 2005 und 2012 von 52 Prozent auf 44 Prozent gesunken. Bis 2020, schätzt die Handelskammer, werden der Tech-Branche 200.000 IT-Spezialisten fehlen.

Blueseed soll das verhindern. Dabei ist es selbst ein Start-up aus Silicon Valley. Gegründet von zwei Flüchtlingskindern, aus Ex-Jugoslawien und Kuba: Max Marty, 28, ein bleicher, schmächtiger Ex-Philosophiestudent mit Drei-Tage-Bart. Ein Zahlen-Nerd, der an die Macht des freien Marktes glaubt.

Und Dario Mutabdzija, 33, Kindergesicht, füllige Wangen, kantiger Akzent. 1992 floh seine Familie wegen des Bürgerkriegs von Sarajevo nach Kalifornien. Er hat in San Francisco und Salzburg, in Peking und auf Hawaii studiert. Vor drei Jahren lernte er Marty kennen, beim Seasteading-Institute. Einem Think-Tank, der im Auftrag reicher Investoren die Besiedelung der Meere durch die Menschheit erforschen soll. Schwimmende Staaten sollen entstehen. Marty rechnete die absurd wirkenden Baupläne durch, Mutabdzija arbeitete sich durch das Seerecht. Bald aber wollten die beiden ihr eigenes Geld verdienen.

Kreuzfahrtschiff als kreativer Durchlauferhitzer

Hätten Marty und Mutabdzija keine amerikanischen Pässe, sie wären die idealen Mieter auf ihrem Schiff. Ein Platz in einer Vier-Bett-Kabine würde sie nach ihren Berechnungen etwa 1200 Dollar pro Monat kosten, eine Kajüte mit Schreibtisch und Blick auf den Pazifik 3000 Dollar. Im Vergleich zu den Mieten in Silicon Valley wäre das günstig.

Rechtlich, behauptet Mutabdzija, sehe er keine Probleme. In internationalen Gewässern gelten auf einem Schiff die Gesetze des Landes, unter dessen Flagge es fährt. Ihre Firmen könnten die Gründer in den USA anmelden. Steuern müssten sie entweder dort, in ihrem Herkunftsland oder wegen der Schiffsflagge auf den Bahamas zahlen, argumentiert Mutabdzija. Auf den Inseln gibt es keine Einkommensteuer.

Mit Touristen- und Businessvisa dürften sich die Schiffsbewohner bis zu 180 Tage pro Jahr auf US-Boden aufhalten. Dort sollen sie Investoren finden und ein Netzwerk knüpfen. Zweimal am Tag soll eine Fähre zum Festland übersetzen. Nach spätestens einem Jahr, sagt Mutabdzija, müssten seine Kunden dann den Absprung geschafft haben und Platz für neue Gründer machen. Ein kreativer Durchlauferhitzer, vor allem aber ein gigantisches Geschäft, so wünscht er es sich.

Ob seine Arche aber wirklich im Pazifik schwimmen wird, ist äußerst fraglich. Denn zunächst einmal bräuchten Mutabdzija und Marty dafür - ein Schiff. Zuerst wollten sie eines bauen lassen, viel zu teuer. Nun möchten sie ein Kreuzfahrtschiff leasen - aber selbst dafür wären etwa 30 Millionen Dollar nötig, schätzt Mutabdzija. Mindestens. Denn die Versorgung von mehr als tausend Menschen auf hoher See ist teuer. Die "Blueseed One" könnte nicht dauerhaft ankern, sondern müsste regelmäßig gewartet und bewegt werden, um die Maschinen in Gang zu halten. Das kostet viel Treibstoff - und belastet die Umwelt.
Selbst Mutabdzijas Geldgeber sind noch skeptisch: "Ich weiß nicht, ob Blueseed klappen wird. Aber es wäre eine weitere Möglichkeit, Leuten zu helfen, die in dieses Land kommen und tolle Unternehmen gründen wollen", sagt Mike Maples, der 350.000 Dollar in das Projekt gesteckt hat. Ob die US-Einwanderungsbehörde mitspielt, ist ebenfalls nicht geklärt. Deren Sprecher wollen das Projekt nicht kommentieren.

"Ein bisschen größenwahnsinnige Ideen sind im Valley eben Teil der Kultur", sagt Mutabdzija trotzig. "Du weißt eben nie, wer hier der nächste Milliardär wird." Bis jetzt, gibt er zu, hat er nicht einmal eine Million zusammen. Und wenn Mutabdzija aus dem Fenster seines Büros in Palo Alto blickt, sieht er nicht den Pazifik, sondern nur einen Park mit Palmen. Ein Jahr hat er noch Zeit.

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