Schuld, Sühne, Verantwortung: Ausgehend vom ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" wollte Günther Jauch die ganz großen Fragen über die Rolle der Deutschen im Zweiten Weltkrieg beackern. Zu sehen gab es stattdessen eine Plauderstunde mit viel seifigem Einerlei.
Die Sendung läuft schon über fünfzig Minuten, als der Historiker Moritz Pfeiffer feststellt: "Wir verlieren uns hier in Anekdoten." Zum Thema "Mutter, Vater, was habt Ihr getan? Die Geschichten unserer Familien" hat Günther Jauch Zeitzeugen eingeladen, die den Krieg als junge Erwachsene erlebt haben: neben Pfeiffer die ehemalige Lazarettschwester Elm Lalowski, 91, die Schauspielerin Barbara Rütting, 85, und den Schriftsteller Dieter Wellershoff, 87. Zu Gast sind außerdem der ehemalige Wehrmachtssoldat Rolf Weiß und der SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, dessen Vater bis zu seinem Tod überzeugter Nationalsozialist blieb.
Schon zu Beginn nimmt Jauch Bezug auf den ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" - und tatsächlich hätte seine Sendung eine exemplarische Diskussion über die Rolle der Deutschen in Krieg und NS-Zeit ermöglichen können. Doch Jauch lässt die Gelegenheit zur tiefer gehenden Auseinandersetzung mit dem Thema verstreichen.
Rolf Weiß, der als Panzergrenadier in der Ukraine kämpfte, antwortet auf die Frage nach seiner persönlichen Schuld gleich am Anfang: "Was heißt Schuld? Als kleiner Landser konnte man gar keine Schuld haben. Wir mussten nur Befehle ausführen" - das ist die geradezu mustergültige Argumentation des Durchschnittssoldaten, die so oder ähnlich seit dem Zweiten Weltkrieg unzählige Male vorgetragen worden sein dürfte. Jauch lässt den Satz unkommentiert stehen. Es mag ja human oder zumindest rücksichtsvoll sein, greise Kriegsteilnehmer nicht am Sonntagabend vor einem Millionenpublikum ins Kreuzverhör zu nehmen. Doch hätte er Weiß' Aussage zumindest von einem Historiker einordnen lassen müssen. Eine beispielhafte Diskussion über die Erinnerungen der letzten lebenden Kriegsteilnehmer kann kaum zustande kommen, wenn nicht einmal der Prototyp der Soldatenausrede analysiert wird.
Lauter nette, normale Deutsche
Auch sonst pflegt Jauch einen Wischiwaschiblick auf die deutsche Geschichte: Der Serie "Unsere Mütter, unsere Väter" bescheinigt er, gezeigt zu haben, dass es im Zweiten Weltkrieg "nicht nur schwarz-weiß, sondern ganz viel grau gab" - und macht sich so die tendenziell geschichtsrevisionistische Erzählung des Dreiteilers zu eigen, in dem es zwar ein paar platte Nazibösewichte, sonst aber lauter nette, normale Deutsche gibt, in der Antisemitismus auch ein Problem der Polen ist und Brutalität ein Wesenszug der Roten Armee. Jauch erwähnt mit sanfter Stimme Flucht und Vertreibung, sowjetische Kriegsverbrechen, kaum aber die der Wehrmacht und den Massenmord an den Juden. So entsteht ein seifiges Einerlei, in dem alles irgendwie schlimm ist, aber keiner verantwortlich. In dem die Deutschen eigentlich auch Opfer sind.
Jauchs Diskussion gleicht einer historischen Plauderstunde im Seniorentreff, bei der jede Vereinfachung begütigend überhört wird: Als Barbara Rütting den Idealismus von Kommunisten und Nationalsozialisten gleichsetzt, nimmt Jauch das ebenso freundlich hin wie ihre Behauptung, dass ihr Vater "kein strammer, sondern ein kleiner Nazi" gewesen sei und überdies als Lehrer beliebt bei seinen Schülern. Schön, möchte man einwerfen - aber wenn das etwas zum Erkenntnisgewinn beitragen könnte, dann höchstens insofern, als dass es in den meisten deutschen Familien Standard sein dürfte, die Verwicklung eigener Verwandten in die Naziherrschaft klein zu reden. Jauch aber hakt nicht einmal nach.
Wird einmal differenzierter argumentiert, besorgt Jauch die Vereinfachung selbst. So etwa bei Dieter Wellershoff, der eine reflektierte Haltung zu seiner Zeit in der Panzerdivision Hermann Göring einnimmt. Hier kommentiert Jauch, Wellershoff sei als Soldat wohl "wie ein Korken im Ozean" gewesen: eine Schlussfolgerung, die jeden Unterschied zwischen den Teilnehmern des von der Wehrmacht geführten Vernichtungsfeldzugs und seinen Opfern nivelliert. Sind wir nicht alle nur Spielball in den Wogen des Schicksals?
So bleibt es dem Historiker Moritz Pfeiffer und SPD-Chef Sigmar Gabriel überlassen, klar zu benennen, was die Ursachen des Krieges waren. Dass zuerst der deutsche Einmarsch in Polen, der Überfall auf die Sowjetunion, die Massaker, die Errichtung der Vernichtungslager kamen und dann erst die Offensive der Roten Armee. Pfeiffer ist es auch, der am Beispiel des eigenen Großvaters zeigt: Nicht nur die Aussagen, sondern auch die persönlichen Erinnerungen von Kriegsteilnehmern sind mitunter fragwürdig. Wer überleben wollte, musste nicht nur den Fronteinsatz überstehen, sondern sich auch eine Version der Ereignisse zulegen, mit der es sich nach dem Krieg weiterleben ließ.
"Die reine Wahrheit wird nie zu Tage kommen" hat der Kriegsteilnehmer Rolf Weiß dementsprechend schon zu Beginn angemerkt - in Bezug auf Jauchs Sendung könnte er Recht haben: Sie dient kaum der Aufklärung, sondern der Verdrängung und der Beschönigung.
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