Donnerstag, 7. Februar 2013

+++Der DOKTOR vor Gericht+++



Womöglich müsste nach den im Fall Schavan angelegten Maßstäben vielen der Doktorgrad entzogen werden. Das entlastet die Bildungsministerin nicht. Dennoch ist ein Entzug des Titels nur eingeschränkt überprüfbar.

Der Sache nach kann nur ein schwerer Verstoß zum Entzug des Doktorgrades führen
Hätte Annette Schavan vor mehr als dreißig Jahren ein Kapitalverbrechen begangen, so wäre das heute verjährt. Doch sie hat eine Doktorarbeit geschrieben. Davon kann man lebenslang profitieren, man kann dafür aber genauso lang belangt werden: Anders als etwa Examensarbeiten kann eine Dissertation stets und auch mehrfach amtlich überprüft werden, mit der Folge, dass der Verlust des Titels droht. Wobei die Doktorarbeit der heutigen Bundesbildungsministerin zugleich ihre akademische Abschlussarbeit war.

Das kann auch in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren berücksichtigt werden. Doch darf man nicht glauben, über Doktortitel entschieden Gerichte. Wohl kann natürlich jeder Akt öffentlicher Gewalt angegriffen und überprüft werden. Der Entzug des Doktorgrades ist zweifellos ein solcher, und ein sehr gewichtiger. Aber es handelt sich um eine Ermessensentscheidung des Fakultätsrats. Die kann - wie andere Gremienentscheidungen auch - von den Verwaltungsgerichten nur eingeschränkt überprüft werden.

Die Richter setzen sich also nicht an die Stelle der Fakultät. Sondern sie überprüfen, ob der Fakultätsrat sein Ermessen etwa fehlerhaft ausgeübt hat, gar willkürlich handelte. Es muss gleichsam nachvollziehbar sein, wie der Rat zu dem Urteil über die Täuschungsabsicht kam. Dazu muss gewiss die Arbeit überprüft werden.

Der Fall Mathiopoulos

So etwa im Fall der FDP-Beraterin Margarita Mathiopoulos, deren Doktorarbeit schon früher einmal von der Universität Bonn ohne Folgen überprüft worden war. Nach einem zweiten Verfahren, das mit dem Entzug des Titels endete, entschied das von Frau Mathiopoulos angerufene Verwaltungsgericht, die Philosophische Fakultät habe zutreffend angenommen, dass die Klägerin eine Täuschung begangen habe. Sie habe weite Passagen ihrer Dissertation wörtlich aus fremden Werken übernommen, ohne diese entsprechend den Regeln wissenschaftlicher Arbeit zu kennzeichnen.

Dadurch habe sie verschleiert, dass große Teile der Dissertation abgeschrieben seien. Die Entscheidung der Fakultät sei auch ansonsten nicht zu beanstanden: Sie habe umfangreiche Erwägungen zu Gunsten und zu Lasten der Klägerin angestellt, die keine Ermessensfehler erkennen ließen. Insbesondere war es nach Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht ermessensfehlerhaft, den Doktorgrad unter Abwägung aller Aspekte des Einzelfalles nach so langer Zeit zu entziehen, heißt es in der noch nicht rechtskräftigen, da von Frau Mathiopoulos angefochtenen Entscheidung.

Anwälte: „Vertraulichkeit des Verfahrens verletzt“

Auch im Fall Schavan geht es nicht nur um die materielle Prüfung - Verstoß gegen wissenschaftliche Standards mit Täuschungsabsicht - sondern auch um das Verfahren. Die auf das Verwaltungsrecht spezialisierte, öffentlichkeitswirksame und auch deshalb nicht unumstrittene Bonner Rechtsanwaltskanzlei Redeker, Sellner, Dahs, die auch Christian Wulff vertritt, äußerte schon, die gesetzlich vorgeschriebene Vertraulichkeit des Verfahrens sei durch „mehrfache selektive Information der Öffentlichkeit“ verletzt worden.

Zudem seien förmlich gestellte Beweisanträge übergangen worden. Das gelte auch für den Antrag, ein externes Fachgutachten einzuholen. Doch ist fraglich, ob diese Verstöße am Ergebnis der Entscheidung etwas ändern. Nicht jeder Verfahrensfehler „schlägt durch“. Kommt das Verwaltungsgericht jedoch zu diesem Ergebnis, müsste das Verfahren von neuem beginnen, und zwar unter Beachtung der etwaigen Ausführungen des Gerichts. Bisher freilich haben Verwaltungsgerichte in ähnlichen Fällen kaum Ermessensfehler gesehen.

Entzug unverhältnismäßig?

Die Anwälte Schavans meinen, der Entzug sei unverhältnismäßig: Die gemessen am Umfang der Doktorarbeit „geringfügige Zahl behaupteter Zitierverstöße“ rechtfertige die Entziehung nicht.

Freilich hat etwa der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof schon 2008 entschieden, dass die „nicht gekennzeichnete Übernahme kompletter Passagen aus dem Werk eines anderen Autors in einer Dissertation“ eine „Täuschung über die Eigenständigkeit der erbrachten wissenschaftlichen Leistung“ enthalte. Sofern sie planmäßig und nicht nur vereinzelt erfolge, könne sie die Hochschule zur Entziehung des verliehenen Doktorgrades berechtigen. Das Gericht hebt zudem in einem zweiten Leitsatz hervor: „Auf den Umfang der abgeschriebenen Stellen sowie auf die Frage, ob die Arbeit auch ohne das Plagiat noch als selbständige wissenschaftliche Arbeit hätte angesehen werden können, kommt es grundsätzlich nicht an.“

Das kann man sicherlich auch anders sehen - doch steht dahinter der Gedanke, dass eine Täuschung mit der härtesten Sanktion zu ahnden ist. Sie ist aber nicht die einzig mögliche. Auch bei Politikern sind mildere Mittel als der Entzug des Titels erwogen worden.

Der Fall Koch-Mehrin

Die einstige FDP-Hoffnungsträgerin Silvana Koch-Mehrin hatte nach Ansicht des Promotionsausschusses der Universität Heidelberg auf etwa 80 von 200 Seiten 125 Textstellen übernommen und diese nicht oder nicht richtig wiedergegeben. Sie habe ganze Sinneinheiten systematisch übernommen. Der Ausschuss hatte zwar darüber nachgedacht, Frau Koch-Mehrin eine Rüge oder Auflagen zu erteilen, doch davon letztlich wegen der Schwere der Verstöße gegen die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens abgesehen. Das Verfahren läuft noch.

Man kann den Doktorgrad etwa in Baden-Württemberg auch verlieren, wenn die eigene Dissertation fehlerfrei ist, der Titelinhaber sich aber als „unwürdig“ erwiesen hat, weil „sich der mit der Verleihung des Doktorgrades begründete Anschein wissenschaftskonformen Arbeitens angesichts gravierender Verstöße gegen die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis und Redlichkeit als unzutreffend herausgestellt hat und eine weitere Führung des verliehenen Doktorgrades bei Würdigung aller Umstände untragbar erscheint und zum Schutz vor Irreführung korrigiert werden muss.“

Von „Ünwürdigkeit“ ist in den nordrhein-westfälischen Rechtsgrundlagen keine Rede; die sind mit ihren Verweisen auf das Verwaltungsverfahrensgesetz eher allgemein. Der Sache nach kann aber nur ein schwerer Verstoß zum Entzug des Doktorgrades führen. Dass (viele?) andere Doktoren nach den im Fall Schavan angelegten Maßstäben ihre Titel verlieren müssten, kann die Bildungsministerin nicht entlasten. Dass sie freilich wie jeder andere behandelt wurde und wird, ist eine Fiktion.

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