Wie die Deutschen den Orient für sich entdeckten
Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts herrschte im Abendland eine durchweg negative Meinung gegenüber dem Islam. Erst dann kam allmählich die Wende, begonnen von deutschen Dichtern und Autoren, die eine andere Meinung vertraten.
Den Anfang machte Gotthold Ephraim Lessing. Er distanzierte sich bewusst gegen die bis dato weit verbreitete „Verachtungsgeschichte gegenüber dem Islam“, so der Forscher Karl-Josef Kuschel. Dazu wandte Lessing ein neues Verfahren, die sogenannte kalkulierte oder strategische Aufwertung, an. Kuschel beschreibt diese Aufwertung wie folgt: „Es werden – im Kontrastbild – die positiven Seiten von Personen, Religionen und Kulturen herausgestellt, ohne damit zu leugnen, dass es jeweils überall auch Negatives und Verabscheuungswürdiges gibt.“ Lessing zeichnete auf diese Weise für seine Leser ein neues Bild vom Orient.
Hinzu kam, dass sich im 18. Jahrhundert die Orientalistik als eigenständige Wissenschaft in Europa ausbildete. So machte sich etwa Friedrich Rückert, einer der Begründer der deutschen Orientalistik, durch die Nachdichtung von persischer Poesie einen Namen. Das Besondere an seiner Arbeit ist, dass sich Rückert stets darum bemühte, die poetische Form der persischen Gedichte zu erhalten und ins Deutsche zu überführen. Vor allem die kunstvolle Reimform des Ghasel wurde durch ihn Bestandteil der deutschen Poetik und in der Folge von vielen Dichtern aufgegriffen. Besonders beliebt wurde Rückerts Nachdichtung der „Makamen des Hariri“. Die Erzählungen des Hariri, eines persischen Gelehrten, haben seit vielen Jahrhunderten größte Bedeutung für die islamische Literatur. Weitere erfolgreiche Übersetzungen Rückerts waren das „Königsbuch“ („Schanahme“) und die Gedichte des Hafiz.
Der Gelehrte aus Franken versuchte sich auch an einer Übersetzung des Koran, dessen frühere Übertragungen ins Deutsche in erster Linie in polemischer Absicht erfolgt waren, um die „Irrlehren“ des Propheten nachzuweisen. An eine vollständige Übersetzung des heiligen Buches dachte Rückert nie, sondern immer nur an eine Auswahl, wobei er sich die Freiheit nahm, ihm „überflüssig“
erscheinende oder problematische Verse wegzulassen. Er selbst beschrieb seine Vorgehensweise so: „Auslassung des den Zusammenhang störenden oder Unnützen. Wegen des nicht ansprechenden Inhalts Ehegesetze, Erbrecht etc. Dagegen alles Mythische und Historische beigebracht ...“ Rückert fand allerdings keinen Verleger, der das Projekt finanzieren wollte, das die bekannte Orientalistin Annemarie Schimmel als die einzige Übersetzung lobte,..„aus der man die poetische Stärke und den sprachlichen Glanz des Originals erkennen kann.“
Nicht zuletzt von Rückert beeinflusst, entwickelte Johann Wolfgang von Goethe eine sehr vielschichtige, von Gegensätzen geprägte Beziehung zum Islam, was zu „den erstaunlichsten Phänomenen“ (Katharina Mommsen) seines Lebens gehört. Am deutlichsten wird Goethes gespaltene Verhältnis zum Orient in seiner Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“. „Anziehung und Abstoßung wirkten zugleich auf ihn ein“, so Mommsen. Dass er sich mit solcher Intensität dem Islam widmete, hat zum einen mit dem Toleranzgedanken der Aufklärung zu tun, durch den auch andere nicht-christliche Religionen den Christen näher gebracht werden sollten. Zum anderen konnte sich Goethe mit einigen der islamischen Hauptlehren durchaus identifizieren, und er sah das Wirken des Propheten in seiner Zeit und seinem Kulturkreis eingebunden und als Teil einer größeren Botschaft: „Denn es ist wahr, was Gott im Koran sagt: Wir haben keinem Volk einen Propheten geschickt, als in seiner Sprache!“
Lessing, Rückert, Goethe – drei Männer, die Pionierarbeit geleistet haben. Sie wollten mit der jahrhundertelang verbreiteten Meinung über den Orient brechen und ein anderes Bild zeichnen, zeigten sich offen und unvoreingenommen gegenüber der fremden Kultur. Mit ihren Werken wollten sie ihre Leser positiv beeinflussen. Bei einigen mag das auch funktioniert haben, allerdings handelte es sich zu diesem Zeitpunkt in der deutschen (Literatur-) Geschichte nur um Einzelpersonen, die sich für eine neue Stellungnahme entschieden. Die Allgemeinheit stand dem Islam weiterhin skeptisch bis desinteressiert gegenüber – wer von den Deutschen des 19. Jahrhunderts begegnete schon einem praktizierenden Moslem? So konnten sich Haltungen tief eingraben, die sich unter veränderten Alltagssituationen nur schwer überwinden lassen.
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