An der Promenade von Brasiliens berühmtem Copacabana-Strand sind rund eine Million Gläubige zusammengekommen, um Papst Franziskus zu bejubeln. In seiner Morgenpredigt verlangte er von seiner Kirche den Mut, "gegen den Strom zu schwimmen" in einer Zeit, die von Effizienz und Pragmatismus geprägt sei.
Papst Franziskus wird auf dem Weltjugendtag in der brasilianischen Stadt euphorisch gefeiert: Etwa eine Million Gläubige haben sich an Rios Strandpromenade begeben, um den Pontifex zu sehen. Am Freitagabend hatte Franziskus bei einer Kreuzwegprozession an der Copacabana die Pilger dazu aufgerufen, mit dem christlichen Kreuz den Übeln und dem Leiden der heutigen Zeit zu begegnen. In einer Messe am Samstagmorgen verlangte er von seiner Kirche den Mut, "gegen den Strom zu schwimmen" in einer Zeit, die von modernen Dogmen wie Effizienz und Pragmatismus geprägt sei.
"Durch das Kreuz verbindet sich Jesus mit den vielen jungen Menschen, die ihr Vertrauen in die politischen Institutionen verloren haben, weil sie Egoismus und Korruption sehen", hatte er nach der Kreuzwegprozession gesagt. Er übte auch Kritik an der katholischen Kirche: Es gebe jene, "die ihren Glauben an die Kirche oder sogar an Gott verloren haben wegen der Unlauterkeit von Christen und von Dienern des Evangeliums".
Den Kreuzweg nannte Franziskus einen der "starken Momente" des Weltjugendtages. Die Stationen waren auf Rios Strandpromenade aufgebaut, wo Darsteller die Geschichte des Leidenswegs Jesu von der Verurteilung über die Kreuzigung bis zur Grablegung erzählten. Jugendliche trugen das große Pilgerkreuz und wurden von Messdienern und einer Ehrengarde begleitet. Der Papst verfolgte die Prozession zusammen mit den Pilgern von einer riesigen Bühne am Strand aus.
Kurz nachdem er die Copacabana verlassen hatte, gelang es mehreren hundert Demonstranten, in die Nähe der Weltjugendtagsbühne zu gelangen, wo sie von der Polizei isoliert wurden. Viele Pilger verließen daraufhin aufgeschreckt die Veranstaltung. Teilnehmer des Katholikentreffens buhten eine Gruppe von Atheisten aus. Demonstranten hielten Plakate, auf denen stand: "Mein Name ist Jesus und ich bin gekommen, um Euch zu sagen, dass Gott nicht existiert."
Franziskus bleibt noch bis Sonntag in Rio. Dort schien am Freitag erstmals seit drei Tagen wieder die Sonne, am Samstag regnete es wieder. Die Veranstalter hatten wegen des tagelangen Dauerregens beschlossen, die am Sonntag geplante große Abschlussmesse des Weltjugendtages von Guaratiba im Westen Rios an die Copacabana zu verlegen. Das dort vorbereitete "Campus Fidei" (Feld des Glaubens) war durch den Regen völlig aufgeweicht.
Die Stadtverwaltung der Sechs-Millionen-Metropole Rio griff auf Plan B zurück und sperrte auf mehreren Kilometern Straßen entlang des Strandes, damit die erwarteten Hunderttausenden Menschen einen Pilgerweg bis zur Hauptbühne an der Copacabana zurücklegen können. "Der Besuch des Papstes ist eine Ehre und eine Freude", sagte Rios Bürgermeister Eduardo Paes mit Blick auf die kurzfristige Änderung. "Wir werden das nicht zu einem Problem für die Stadt machen."
Drei Millionen Pilger bejubeln den Papst. Franziskus wandte sich zum Abschluss des Weltjugendtags in Rio de Janeiro in einer flammenden Ansprache an die junge Generation und forderte sie dazu auf, sich einzumischen und für eine bessere Welt zu kämpfen.
Er schlägt sich wacker auf Portugiesisch; doch wenn es drauf ankommt, redet der argentinische Papst in seiner Muttersprache. Auf Spanisch hielt Franziskus am Samstag im Stadttheater von Rio seine wohl wichtigste Rede: "Zwischen der egoistischen Gleichgültigkeit und dem gewalttätigen Protest gibt es eine Option, die immer möglich ist: den Dialog", sagte er vor Politikern, Kirchenleuten und Künstlern. Zum ersten Mal nahm er direkt zu den Protesten Stellung, die seine knapp einwöchige Reise zum Weltjugendtag nach Rio de Janeiro begleiteten.
Zwar gingen längst nicht so viele Menschen auf die Straße wie im Juni, als Brasilien von Massendemonstrationen gegen die Korruption der herrschenden Klasse erschüttert wurde. Knapp 300 Protestierende mischten sich Freitagnacht unter die Pilger an der Copacabana. Die Demonstranten hatten klargestellt, dass sich ihre Proteste nicht gegen den Papst richten; sie wollten nur den Medienrummel ausnutzen, der den Pontifex begleitete.
Fotostrecke
6 BilderPapst Franziskus in Rio: Die große Copacabana-Messe
Dabei findet Brasiliens ungeduldige Jugend bei diesem Papst ein offenes Ohr. "Die Zukunft fordert von uns eine humanistische Vision der Wirtschaft und eine Politik, die mehr Menschen die Teilnahme ermöglicht", ermahnte Franziskus die im Theater versammelten Politiker. Elitismus gelte es zu vermeiden. Da mögen so manchem im Publikum die Ohren geklungen haben.
Brasiliens Protestbewegung hat zwar den Höhepunkt überschritten, die Massendemonstrationen sind vorbei. Allerdings kommt es überall im Land weiterhin zu kleinen Protestmärschen, die oft von einer gewaltbereiten Minderheit begleitet werden. Die Regierung reagierte mit einem Über-Aufgebot an Sicherheit: Mehr als 20.000 Soldaten und Polizisten sind unterwegs, um den Papst zu schützen. Sie kontrollierten das Zimmer des Pontifex auf radioaktive Strahlungen, rasten mit Gewehren durch die Stadt und schüchterten die Pilger mit martialischen Pumpguns ein.
Die Cariocas, wie die Einwohner von Rio heißen, sind einiges an Großveranstaltungen gewohnt, doch der Papst schlägt alles: Mehr als drei Millionen Besucher sind am Samstag zur Nachtwache an die Copacabana geströmt. Dauerregen verwandelte zudem das riesige Feld, auf dem der Papst seine Abschlussmesse halten wollte, in eine Schlammwüste; die Veranstaltung wurde daraufhin an die Copacabana verlegt. Zwischendurch fiel auch noch die U-Bahn für zwei Stunden aus, Lastwagen voller Chemieklos versperrten den Pilgern den Weg, viele wurden in dem Gedränge ohnmächtig. Gleichzeitig frohlockten die Taschendiebe.
Bürgermeister Eduardo Paes entschuldigte sich für das Chaos, aber die Pilger ließen sich von Organisationschaos und Kaltfront nicht die Laune verderben: "Wir leiden nicht, wir bringen unser Opfer für den Papst", versicherte Claire Wu aus Taipeh und lachte fröhlich. "Die Toiletten sind knapp, die Wege könnten auch besser ausgeschildert sein." Irgendwie hatte sie trotzdem den Weg an die Copacabana gefunden.
Die Nacht von Samstag auf Sonntag wollte sie am Strand verbringen; die Nachtwache vor der großen Abschlussmesse hat Tradition. Das Menschenmeer an der Copacabana bedeckte die gesamte sechs Kilometer lange Strandmeile, nicht mal Silvester ist es so voll. Erstmals nach sechs Tagen schien die Sonne, auch nachts wurden die Pilger vom Regen verschont. Papst Franziskus hatte dem Bürgermeister empfohlen, der Heiligen Santa Clara ein Dutzend Eier zu opfern, das sei ein bewährtes katholisches Hausmittel gegen schlechtes Wetter. Offenbar hatte das Rezept gewirkt.
Einfach hat Franziskus es den Organisatoren nicht gemacht: Statt im gepanzerten Papamobil ließ er sich in einem einfachen Fiat kutschieren. Immer wieder kurbelte er die Scheibe herunter, der Wagen hatte nicht mal elektrische Fensteröffner. Nur das offene Papamobil kam zum Einsatz, immer wieder ließ er anhalten und stieg vom Auto herunter; er segnete jedes Baby, das ihm entgegengehalten wurde. Ohne zu zögern setzte er einen Federschmuck auf, den ihm ein Indianer als Geschenk überreicht hatte.
Viele Brasilianer fühlten sich an Ex-Präsident Lula erinnert, der ließ sich auch gern mit Häuptlingsschmuck fotografieren. "Kein Vergleich zu seinem Vorgänger Benedikt", sagte anerkennend Pablo Verde, 26, der aus Uruguay zum Kirchenfest gekommen war. "Dieser Papst hat Charisma."
Franziskus spricht eine einfache, klare Sprache; er trifft den Nerv der Jugend - das ist vielleicht der größte Unterschied zu seinem Vorgänger. Viele vergleichen ihn bereits mit Johannes Paul II., der in Lateinamerika verehrt wird wie kein anderer.
Doch wie viel Substanz steckt in seinen Reformen? Der katholischen Kirche laufen in Lateinamerika ihre Schäfchen davon; in der Westzone von Rio ist die Mehrheit der Bevölkerung bereits evangelisch. Franziskus will die Kirche öffnen, er scheucht seine Priester hinaus in die Welt. Sie sollen auf das Volk zugehen, statt darauf zu warten, dass es in die Kirche kommt.
Franziskus will der Papst der Armen sein, doch die suchen immer öfter Hilfe bei den evangelischen Kirchen. Denn die zeigen einen Weg aus dem Elend auf, sie helfen bei Arbeitssuche und predigen Unternehmergeist. Die katholische Kirche mit ihrer starren Liturgie und dem ewigen Vergebungsversprechen nehmen viele Gläubige dagegen als statisch wahr, die Aufsteigerkirchen sind die Evangelikalen. Dieses Grunddilemma der Katholiken in Lateinamerika rührt auch Franziskus nicht an, obwohl er sich so weltlich gibt wie kein Papst vor ihm.
Die wahren Herausforderungen lauern ohnehin daheim in Rom. Dort warten Skandale um die Vatikanbank, die Schwulen-Mafia und eine widerspenstige Kurie auf den Papst. Aber vielleicht ist da wenigstens das Wetter besser als im kalten Rio.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen