Ein renommierter Gerichtsgutachter hat den Lebensweg der mutmaßlichen NSU-Terroristin analysiert und hält sie für voll schuldfähig.
Am Montag soll Beate Zschäpe in Saal A101 im Oberlandesgericht (OLG) München auf der Anklagebank Platz nehmen.
Vorgeworfen wird ihr, für eine der schrecklichsten Verbrechensserien in Deutschland mitverantwortlich gewesen zu sein: die Ermordung von neun Migranten und einer deutschen Polizistin.
Wie wurde aus der geselligen jungen Frau aus Jena, deren Traumberuf Kindergärtnerin war, eine mutmaßliche Terroristin? Sie selbst schweigt bislang eisern.
Selbst dem bekannten Gerichtspsychiater Professor Henning Saß von der Uni Aachen verweigerte sie das Gespräch. Saß, der schon in spektakulären Fällen wie dem Mord an Rudolph Mooshammer die Täter-Psyche untersucht hat, stützt sich in seinem 71 Seiten umfassenden Gutachten auf zahlreiche Zeugenaussagen zum Leben der heute 38-jährigen Zschäpe.
Das wichtigste Ergebnis: Saß sieht keine Anhaltspunkte für eine relevante psychische Störung, etwa im Sinne einer schizophrenen Psychose (eine schwere psychiatrische Erkrankung, bei der man zum Beispiel Wahnvorstellungen hat), einer Neigung zu depressiven Verstimmungen oder einer Störung der Impulskontrolle. Demnach ist Beate Zschäpe voll schuldfähig.
Detailliert hat Saß in seiner Expertise den Lebensweg der Angeklagten nachgezeichnet – besonders die schwierige Kindheit. So ließ ihre Mutter Annerose Beate gleich nach der Geburt im Januar 1975 zurück bei der Großmutter in Jena, um in Rumänien ihr Zahnmedizin-Studium fortzusetzen. Der Vater, ein Rumäne, den Annerose Zschäpe im Studium kennengelernt hatte, zeigte nach den Erkenntnissen aus den Ermittlungen nie Interesse an der Tochter und hatte wohl auch keinen Kontakt zu ihr.
MUSS DER PROZESS ERNEUT VERSCHOBEN WERDEN?
Am kommenden Montag soll in München der NSU-Prozess beginnen. Doch jetzt fürchten die Hinterbliebenen der Opfer eine erneute Verschiebung.
Grund: Das Bundesverfassungsgericht muss sich ein weiteres Mal mit der Vergabe der Presseplätze befassen. Gestern ging in Karlsruhe die Verfassungsbeschwerde des freien Journalisten Martin Lejeune ein, der bei der Auslosung seinen ursprünglich zugesagten Platz verloren hatte.
Die Nebenklage-Anwältin Angelika Lex sprach von einer „unglaublich belastenden Situation” für die Angehörigen.
Nicht viel besser war Beates Verhältnis zur Mutter, die wechselnde Partner hatte und zweimal verheiratet war. Doch keiner dieser Männer nahm eine Vaterrolle für Beate Zschäpe ein. Gutachter Saß schildert das Mutter-Tochter-Verhältnis als weitgehend zerrüttet.
Dazu trug maßgeblich der soziale Absturz der Mutter bei, der 1991 mit dem Jobverlust begann. Sie rutschte in die Alkoholsucht ab, interessierte sich für das Leben ihrer Tochter immer weniger.
Trotz der schwierigen Familienverhältnisse hat sich Beate Zschäpe, so schreibt es Gutachter Saß, zu einer lebhaften, selbstbewussten und burschikosen jungen Frau entwickelt. Anerkennung und Freunde fand sie in ihrer Jugendclique in Jena, in der sich ein extremer Ausländer- und Juden-Hass entwickelte. Dort lernte sie auch Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kennen, mit denen sie später fast 14 Jahre lang im Untergrund lebte.
Beate Zschäpe war erst mit Uwe Mundlos liiert, später mit Uwe Böhnhardt. Psychiater Saß analysiert, dass es den drei jungen Leuten gelang, trotz der wechselnden Intimbeziehungen eine funktionierende Dreiergruppe zu bilden.
Gutachter Saß geht davon aus, dass Beate Zschäpe die radikale Gedankenwelt von Mundlos und Böhnhardt geteilt hat. Hinweise auf Bedenken oder Zweifel der 38-Jährigen an den schrecklichen Mordtaten der beiden Terroristen konnte er nicht feststellen.
Offen lässt der Gutachter, ob Beate Zschäpe als so gefährlich einzustufen ist, dass für sie eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung notwendig wird. Abschließend sei das erst nach Ende des Prozesses zu beurteilen.
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