Für die Münchner war das Viertelfinale im Pokal viel mehr als nur ein Fußballspiel. Nach zwei Jahren der Niederschläge mussten sie Borussia Dortmund mal wieder besiegen. Es ging um das Selbstverständnis eines Vereins. Wie wichtig dieser Erfolg ist, zeigen die Reaktionen nach der Partie.
Uli Hoeneß sah so aus, als hätte er gerade die köstlichste Wurst in der Geschichte der Menschheit gegessen und sich dann gemeinsam mit seiner Familie ein prächtiges Feuerwerk angesehen. Wer weiß, dass der Präsident des FC Bayern nur seine Familie, Wurst und Farbspektakel am Himmel ähnlich abgöttisch liebt wie seinen Fußballverein, der ahnte, wie es ihm in diesem Moment ging.
Dieser Moment, das war, als Schiedsrichter Knut Kircher die packende und intensive DFB-Viertelfinalpartie zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund für beendet und die Münchner zum 1:0-Sieger erklärt hatte. Nicht nur Hoeneß ("Ich habe mich gefragt, wie ich dieses Spiel überstehe") war erleichtert, verzückt, erfreut - sondern der komplette Münchner Verein samt seinen Mitarbeitern.
Es begann bei Torschütze Arjen Robben, der mit Schlusspfiff zu Boden sank wie einst Gerd Müller nach dem WM-Finale 1974. Er riss die Arme nach oben, dann prügelte er auf den Rasen ein, schließlich spannte er die Oberarmmuskeln derart an, dass sein enges Trikot zu platzen drohte. Bastian Schweinsteiger hatte sein Leibchen derweil einem Fan überlassen.
Dann jubelten die Spieler vor der Fankurve - kleine, aber wichtige Randnotiz: zum ersten Mal in dieser Saison waren alle Akteure der Startelf dabei. Noch eine kleine, aber wichtige Randnotiz: Zum ersten Mal in dieser Saison machten nicht nur jene Anhänger mit, die immer mitmachen und die vor der Partie mit einer pfiffigen Choreografie (erst schwarz-gelbe Plakate wegen der Münchner Stadtfarben, dann rot-weiße für den FC Bayern) glänzten - sondern auch die auf den Plätzen, die gemeinhin dem sogenannten Operettenpublikum vorbehalten sind.
Und als Pointe trug dann noch jener unscheinbare Mitarbeiter des Vereins etwas zu diesem Abend bei, der für die Musikauswahl in der Arena zuständig ist. Er wählte nach dem unvermeidlichen "Stern des Südens" ein Lied, zu dem man gewöhnlich "Ladi-ladi-ladi-ladi-hoooo" grölt, das den Münchner Fans jedoch ermöglichte, die Dortmunder als Nachkommen von Prostituierten zu besingen. Sie stimmten lautstark ein.
Es war für die Münchner viel mehr als nur ein Fußballspiel, viel mehr als nur ein Viertelfinale im nationalen Pokal. Es ging auch nicht nur darum, Borussia Dortmund nach mehr als 41 sieglosen Monaten mit fünf Niederlagen und einem Unentschieden endlich wieder einmal zu besiegen (das Supercup-Endspiel gilt hier als kleine, eher unwichtige Randnotiz). Es ging um das Selbstverständnis eines Vereins, also eigentlich um alles.
"Besser geht es nicht"
Deshalb gab sich Hoeneß auch gar keine Mühe, seine Begeisterung zu verbergen: "Mit diesem Spiel haben wir die Vormachtstellung im deutschen Fußball zurück, die deutschen Verhältnisse sind geklärt. Wir haben einiges dafür getan, in Deutschland wieder oben zu sein." Angesichts eines Vorsprungs von 17 Punkten in der Liga und des Halbfinal-Einzugs im Pokal sei national nun alles geregelt.
Was Hoeneß noch begeisterte, war die Tatsache, dass der FC Bayern nicht nur gegen Dortmund gewonnen, sondern den Gegner fein seziert und letztlich auseinandergenommen hatte: "Wir haben vollkommen verdient gewonnen, die Mannschaft hat herausragend gespielt. So wie in den letzten 20 Minuten, besser geht es nicht."
Der Bayern-Präsident freut sich über die Kräfteverteilung im deutschen Fußball, Jupp Heynckes lobt Bastian Schweinsteiger überschwänglich und BVB-Coach Jürgen Klopp hadert mit der verschlafenen ersten Halbzeit.
Die Münchner spielten nahe an der Perfektion - es war bisweilen so, als würde man einen Boxkampf von Wladimir Klitschko verfolgen: Der Gegner müht sich zwar redlich, kann aber keinen einzigen Wirkungstreffer setzen und wird von den präzisen und wuchtigen Schlägen Klitschkos so lange getroffen, bis er letztlich keine Chance mehr hat.
Javi Martínez und Bastian Schweinsteiger geben dieser Elf Struktur und Balance, so dass dem Gegner kaum prägende Angriffe gelingen und Torwart Manuel Neuer erneut kaum Gelegenheiten hatte, sich auszuzeichnen. Offensiv dürfte es ohnehin schwerfallen, weltweit eine Mannschaft zu finden, welche die Attribute Ballsicherheit, Kreativität und Torgefahr derart kombiniert wie der FC Bayern.
Es passte natürlich, dass der Geschundenste von allen den Siegtreffer erzielen durfte. Arjen Robben, der beim prägenden Bundesliga-Duell der vergangenen Saison noch einen Elfmeter verschossen hatte, der nach dem verlorenen Champions-League-Finale von den eigenen Fans ausgepfiffen worden war und der zuletzt sehr lange auf der Ersatzbank gesessen hatte. Dieser Arjen Robben war nun mit einem feinen Schlenzer erfolgreich.
"Schon als der Ball den Fuß verlassen hatte, wusste ich, dass er reingeht - manchmal spürt man das", sagte Robben hinterher, "ich bin jetzt 29 Jahre alt - aber wenn man dann nachts von einem Fußballspiel träumt, dann sind es solche Tore, von denen man träumt." Robben hatte ein fußballerisches Statement abgegeben, deshalb brauchte es hinterher kein verbales mehr. "Das war nicht nur wichtig für mich, das war für die ganze Mannschaft wichtig", sagte er für seine Verhältnisse beinahe bescheiden.
Die wenigen Mängel (Javi Martínez' grobe Aktion gegen Robert Lewandowski, das Vergeben zahlreicher Chancen und die Tatsache, dass Dortmund deshalb kurz vor dem Ende die Möglichkeit bekam, durch Julian Schieber auszugleichen) haben sie in München sehr wohl registriert - nur wollte sie nach der Partie kaum jemand thematisieren.
Warum auch? Die eingehende Analyse durfte ruhig auf Donnerstag oder Freitag vertagt werden. An diesem Abend waren andere Dinge wichtiger.
Wer Uli Hoeneß in der vergangenen Saison bisweilen nach Spielen gesehen hat, wie er etwa nach einer Niederlage in Leverkusen angeschlagen zum Mannschaftsbus taumelte oder wie er nach dem Champions-League-Finale auf seinem Platz kauerte - wer das sah, der wusste, wie sehr dieser Mensch mit seinem Verein leiden kann. Wer ihn nach dem Spiel gegen Dortmund sah, der wusste, dass da innerhalb von 90 Minuten ganz viele Dinge wieder in Ordnung gebracht wurden im Weltbild von Uli Hoeneß.
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