Schon als Sechsjähriger sah er aus wie ein Erwachsener: Vor 95 Jahren wurde Robert Wadlow geboren und mit 2,72 Meter zum größten Menschen der Welt. Der Amerikaner wurde auf der Straße beschimpft, erkrankte schon als Teenager schwer - und nahm sein einzigartiges Schicksal trotzdem mit viel Humor.
An seinem sechsten Geburtstag war Robert Wadlow so groß wie sein Vater. Die Leute in seinem Heimatort waren verwirrt: Sie sprachen mit dem Vorschüler wie mit einem Erwachsenen. Busfahrer und Zugschaffner verlangten von ihm den vollen Fahrpreis - dabei konnte Robert noch nicht einmal lesen und schreiben. Wie alle Kinder in seinem Alter sammelte er Murmeln und spielte gern Verstecken.
Robert wuchs zum größten Menschen der Welt heran. Am Ende maß er 2,72 Meter. Dies brachte ihm den noch immer unangefochtenen Titel im Guinness-Buch der Rekorde ein - und jede Menge Demütigungen. Kinder traten ihm gegen die Schienbeine, um herauszufinden, ob er auf Stelzen lief. Den Satz "Hey, wie ist die Luft da oben?" konnte er schon mit 13 Jahren nicht mehr hören. Doch Robert hatte seine eigene Methode, mit dieser Bürde fertigzuwerden: seine überwältigende Freundlichkeit.
Am 22. Februar 1918 brachte Annie Wadlow in Alton, Illinois, ihr erstes Kind zur Welt: Der kleine Robert war ein ganz normales Baby, wog gesunde achteinhalb Pfund. Doch nach wenigen Monaten begann er rasant zu wachsen. "Ein vorübergehender Wachstumsschub", dachten die jungen Eltern und machten sich keine Sorgen.
Ein Junge wird zum Star
Doch schon im Kindergarten überragte Robert seine Freunde um mehrere Köpfe. Den anderen Kindern war das egal: Für sie war er einfach Bob, ein neugieriger, fröhlicher Junge - nur eben im Körper eines Mannes. Erst als Robert in die Schule kam, begannen sich Freunde und Verwandte Sorgen zumachen: Würde der bald über 1,80 Meter große Junge überhaupt in eine Schulbank passen? Würden die Stühle im Klassenzimmer ihn überhaupt tragen?
Tatsächlich wurde es eng: Roberts Füße ragten unter seinem Tisch in den Klassenraum, Stifte, Lineale und Schiefertafeln konnte er mit seinen großen Händen nur mit Mühe greifen. Ständig schlug er sich den Kopf an. Doch Robert liebte die Schule - und seine Mitschüler liebten ihn. Auf die Frage nach der Besonderheit Wadlows antwortete eine seiner Klassenkameradinnen später einer Reporterin: "Am meisten fiel an ihm sein wunderbares Lächeln auf. Ich kann mich wirklich nicht daran erinnern, ihn nicht lächeln gesehen zu haben."
Mit neun Jahren wurde Robert, mittlerweile 1,90 Meter, von der Presse entdeckt. Zeitungsreporter rissen sich um ihn, aus dem ganzen Land strömten Schaulustige in das beschauliche Alton, um den "Riesenjungen" zu bestaunen. Robert fand das lästig. Sogar Zirkusdirektoren wollten ihn rekrutieren, doch er lehnte ab: "Selbst wenn es das Letzte auf der Welt wäre, was ich tun könnte - ich würde nie zum Zirkus gehen", sagte Robert einem der Reporter. Es würden ihn ohnehin schon zu viele Leute anstarren.
Als Reaktion darauf entwickelte der Teenager eine sagenhafte Geduld. "Ich habe mich daran gewöhnt, angegafft zu werden", sagte er in einem Interview. "Sich darüber zu ärgern, würde die Menschen nur unglücklich machen - mich auch. Manche sagen natürlich unfreundliche Dinge. Darüber habe ich lange nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, sie zu ignorieren." Selbst wer ihn beleidigte, bekam ein freundliches Lächeln.
Das Problem mit den Schuhen
Roberts Körpergröße blieb den Wadlows lange ein Rätsel. Niemand in der Familie war besonders hochgewachsen. Mediziner untersuchten den Jungen und entdeckten kurz vor seinem zwölften Geburtstag die Ursache für sein übermäßiges und schnelles Wachstum: Ein Tumor drückte auf Roberts Hirnanhangdrüse, die Hypophyse, die dadurch unkontrolliert Wachstumshormone freisetzte. Wegen des hohen Risikos entschieden sich die Ärzte und Roberts Familie gegen eine Gehirnoperation. Dennoch ließ Robert jahrelang unangenehme Tests über sich ergehen, um die Forschung über die Krankheit weiterzubringen. Heute ist die Hormonstörung durch eine Operation durch die Nase gut heilbar. Bei bis zu 80 Prozent der Patienten kann der Tumor so entfernt werden, dass ihr Wachstum endgültig aufhört.
In den zwanziger Jahren gab es diese Möglichkeit nicht. Robert wuchs und wuchs. Seine Knochen wurden dadurch geschädigt, er musste Beinschienen tragen, die seine Knie stützten und verletzte sich oft. "Er war von Natur aus sehr ungeschickt, weil er so groß war", sagte seine Cousine Mina Cornine zu Roberts Biografin Jennifer Phillips. "Er fiel oft hin und stieß sich die Knie auf."
Auch Kleidung war ein Problem, bereits im Teenager-Alter brauchte Robert Spezialanfertigungen. Das war gar nicht so einfach: "Meine Eltern sandten meine Maße ein, um mir einen Anzug machen zu lassen", sagte Robert einem Reporter. "Aber die Firma schickte sie wieder zurück - sie dachten, wir hätten uns geirrt." Schustern gelang es, spezielle Schuhe für Robert anzufertigen. Als das Paar jedoch Monate später in Alton ankam, passte es ihm schon nicht mehr. Maßanfertigungen waren teuer - und das Geld war knapp in der siebenköpfigen Familie.
Doch die Wadlows wussten sich zu helfen: Roberts Mutter improvisierte. Sie brachte seine Hosen zu einem Schneider und ließ aus den Beinen Röcke für ihre Töchter machen. Um die Schuhe kümmerte sich der Zwölfährige selbst: Anstatt sie zu bezahlen, begann er, für eine Schuhfirma zu arbeiten. Zusammen mit seinem Vater unternahm er Werbereisen durch ganz Amerika. Außerdem gastierten die beiden an Schulen, Universitäten und Theatern und hielten Vorträge über das Leben eines "Riesen". Robert liebte das Reisen, obwohl es für ihn mit einigen Problemen verbunden war: Zugabteile, Bussitze, Hotelbetten und Badewannen - alles war für Robert gleich mehrere Nummern zu klein. Zumindest im Auto half ein Trick: Der Vater entfernte einfach den Beifahrersitz seines Wagens und ließ Robert auf der Hinterbank Platz nehmen.
Später wollte er Anwalt werden
Der blonde Junge mit den kreisrunden Brillengläsern wurde zum Publikumsliebling. Robert trat im Radio auf und begeisterte mit seiner durch die langen Stimmbänder besonders tiefen Stimme - und seinem Sinn für Humor. Auf die Frage des Moderators, ob es ihn nicht störe, wenn ihm die Leute auf der Straße nachgafften, antwortete er schlagfertig: "Oh nein, da stehe ich drüber." Der Teenager hatte mit seiner Größe keine Probleme. Er ging gern schwimmen, spielte Basketball, wurde Pfadfinder und schließlich Schulsprecher. Später wollte er Anwalt werden.
Doch gesundheitlich ging es Robert immer schlechter. Auf dem College war er bereits 2,60 Meter groß und konnte nur noch kurze Strecken gehen, gestützt auf einen Stock. Weil auch Knorpel und Bindegewebe zu schnell wuchsen, verdickten sich die Gelenke und wurden immer unbeweglicher. Auch Nerven wurden dadurch eingeklemmt, was zu einem Taubheitsgefühl, Schmerzen und Kribbeln in Händen und Füßen führte. Unterhalb der Knie konnte Robert nichts mehr fühlen. Immer wieder rutschte er im eisigen Winter von Illinois auf den glatten Straßen aus.
Eine zu eng sitzende Stützbandage am Knöchel verursachte schließlich eine Blase an seinem Fuß und führte zu einer Infektion. Weil Robert in den Füßen kein Gefühl mehr hatte, bemerkte er die Sepsis zu spät. Mit über 41 Grad Fieber wurde er ins Krankenhaus eingeliefert. Trotz Notoperation und Bluttransfusionen starb er am 15. Juli 1940. Er war 22 Jahre alt. Zu seiner Beerdigung in Alton kamen über 10.000 Menschen. Sie nahmen Abschied, nicht nur vom größten Menschen der Welt - sondern auch von einem der freundlichsten.
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