Der Reichstagsbrand 1933 gehört zum dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, nun versucht der ARD-Film "Nacht über Berlin", die Wirren der Zeit einzufangen. Jan Josef Liefers spielt die Hauptrolle. Ein Gespräch über den Terror des Alltags und sein Leben in der Diktatur der DDR.
Berlin, Anfang 1933. Nach der Machtergreifung durch Adolf Hitler liefern sich Nazis und Kommunisten Straßenschlachten, die Radikalisierung der Gesellschaft nimmt zu. Während die Wirtschaft am Boden liegt, taumelt die junge Demokratie der Weimarer Republik ins Chaos. Der Reichstagsbrand in der Nacht zum 28. Februar liefert den Nazis schließlich die Begründung, ihre politischen Gegner zu verhaften und zu vernichten.
Der ARD-Film "Nacht über Berlin - Der Reichstagsbrand" zeichnet ein Bild der Gesellschaft am Abgrund. In der Hauptrolle: Jan Josef Liefers als Albert Goldmann, der als jüdischer SPD-Abgeordneter im Berliner Reichstag tief in die Wirren der Zeit verstrickt wird.
SZ.de: Um kaum ein Ereignis in der deutschen Geschichte ranken sich mehr Verschwörungstheorien als um den Reichstagsbrand. Deshalb die wichtigste Frage gleich voran: Wer hat den Reichstag denn angezündet?
Jan Josef Liefers: Da gibt es tatsächlich die wildesten Theorien. War es Marinus van der Lubbe als Einzeltäter? Waren es die Kommunisten? Waren es die Nazis? Bei Historikern hat sich mittlerweile die Einzeltätertheorie durchgesetzt. Friedemann Fromm, der Regisseur von "Nacht über Berlin", hat die Abläufe minutiös recherchiert. Wenn man mit ihm spricht, dann kommt man zu dem Schluss, dass es einfach nicht mehr aufklärbar ist. Es gibt keine Antwort auf diese Frage.
Wieso dreht man dann einen Film über den Reichstagsbrand?
Der Brand hat noch immer den Nimbus des Mysteriösen - und er markiert den Beginn des schlimmsten Kapitels der deutschen Geschichte. Außerdem geht es im Film gar nicht um die Täterfrage. Es geht um etwas viel Spannenderes: In welchem Zustand befindet sich eine Gesellschaft, wenn ein Feuer in einem öffentlichen Gebäude ausreicht, die Demokratie abzuschaffen und ein totalitäres Terrorregime zu errichten?
Und welche Erklärung liefert da "Nacht über Berlin"?
Der Film zeichnet das Bild einer jungen, vollkommen unerfahrenen Demokratie. In den Köpfen der Menschen herrschte totales Chaos, während sich die Ökonomie in einem desolaten Zustand befand. Es geht darum, die Lebenssituation und das Gefühl der Menschen darzustellen, die nicht wissen, was sie morgen erwartet.
"Nacht über Berlin" will also eher ein Gesellschaftsbild zeichnen? Das historische Ereignis spielt nur am Rande?
Genau so ist es. Und das ist auch Aufgabe eines Films, dass er Fakten und Zahlen, all das was Historiker zusammentragen, in Schicksale und Emotionen übersetzt. Jeder kennt das: Man liest über Katastrophen und Kriege, ohne dass einen diese Informationen sonderlich berühren. Man muss in einzelne Schicksale eintauchen können.
Nach "Der Turm" spielen Sie in "Nacht über Berlin" zum zweiten Mal in kürzester Zeit in einem Film über eine der beiden deutschen Diktaturen. Sie verkörpern Albert Goldmann, einen Arzt und SPD-Reichstagsabgeordneten, der durch seine jüdische Herkunft und politische Gesinnung tief in die Wirren der Zeit verstrickt wird. Wer ist dieser Mann?
Albert Goldmann ist eine fiktive Figur. Er war Feldarzt im Ersten Weltkrieg. Mit bloßen Händen hat er Därme zurück in die Bäuche gestopft. Er hat Dinge gesehen, die sich nie wiederholen dürfen. So kommt er als überzeugter Pazifist aus dem Krieg zurück und lehnt Gewalt vehement ab. Er will mit Argumenten überzeugen und glaubt an die Demokratie. Gleichzeitig ist viel Wut in ihm. Bei einem Handgemenge mit den Nazis überlegt er keinen Moment, geht dazwischen und schlägt zurück. Und dass sich Nazis und Kommunisten auf offener Straße prügelten, das war 1933 keine Seltenheit.
"Die Reichweite nationalistischer Parolen ist erschreckend"
Was reizt Sie an solchen historischen Rollen?
Mich interessiert, was in Diktaturen mit Menschen geschieht: Wie sie sich verhalten, warum sie sich damals so einfangen ließen von einem Psychopaten wie Adolf Hitler. Das ist für uns heute doch ein vollkommenes Rätsel. Als Schauspieler muss ich den heutigen Blick auf die Zeit ausblenden und versuchen, das damalige Leben aus sich heraus zu verstehen. Es ist ein Blick hinter die Fassade, hinter die Kleidung, hinter die Mode der Zeit. Wenn ein Film tiefer einsteigt, dann spiele ich so etwas gerne. Ich will die schleichende Tyrannei des Alltags kennen. Bloß Postkarten aus einer anderen Zeit interessieren mich nicht.
Wie meinen Sie das?
Der Film soll nicht wie ein Museumsgegenstand sein, er hat auch eine Bedeutung für die Gegenwart. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Film: Sven Lehmann verkörpert die Figur Erhart von Kühn, einen opportunistischen Geschäftsmann, der die Nähe zu hochrangigen NSDAP-Mitgliedern sucht. Das ist ein Mensch, der sich arrangiert, der vor allem Geld verdienen will. Und wenn er dafür in die Partei eintreten muss, dann macht er das eben auch irgendwann. Er handelt nach dem Motto: Hier bricht eine neue Zeit an, das ist meine Chance. Dabei ist er weder überzeugter Nazi noch Antisemit. Aus purem Egoismus stützen Menschen wie er ein System.
Eine Erfahrung, die Sie auch selbst gemacht haben? Sie haben immerhin 26 Jahre lang in einer Diktatur gelebt.
Helden sind in Diktaturen die Ausnahme, das zeigen mir meine Erfahrungen aus der DDR. Als ich 1990 nach Hamburg ans Thalia Theater ging und nach der DDR gefragt wurde, merkt ich schnell, wie schwer Differenzierung fällt. Manche Menschen sind morgens Helden und abends Verräter. Im Nachhinein gerinnt das Geschichtsbild aber. Irgendwann gibt es nur noch Opfer und Täter. Das haut so aber nicht hin. Damit wird man den Menschen nicht gerecht, die damals gelebt haben. Jeder hat versucht, sich einzurichten und klarzukommen.
Sie sind in Dresden aufgewachsen. Dort wird die sinnlose Zerstörung durch den Krieg besonders deutlich. Welche Rolle spielt die Zeit des Nationalsozialismus in Ihrem Geschichtsverständnis?
Ich bin mit den Geschichten meiner Großmutter groß geworden. Sie ist so eine richtige, glühende Dresdnerin, die stolz auf ihre Stadt ist, auf die Kultur und die Architektur. Sie ging mit mir durch diese Stadt, von der kaum etwas übrig war. Ich erinnere mich an ihre Erzählungen über die Prager Straße, in der ich mit meiner Mutter in einem kleinen Appartement in einem der größten Plattenbauten Europas wohnte. Das muss vorher eine der schönsten Straßen Europas gewesen sein, mit Prachtbauten im italienischen Barockstil. Nun war dort eine riesige Wohnanlage aus Beton. Und im Großen Garten, im Blüherpark oder an der Elbe standen Bäume, in denen Bombensplitter steckten und im Laufe der Zeit einwuchsen.
Dann ist Dresden für Sie ein wichtiges Symbol gegen den Krieg?
Dresden ist ein Symbol für Zerstörung, Leid und Verzweiflung des Krieges. Das habe ich durch meine Sozialisierung in dieser Stadt erfahren.
Und dennoch sitzen dort heute wieder Nationalisten im Landtag, die gegen alles Fremde hetzen.
Ich kann mir absolut nicht erklären, wie in Sachsen, und ausgerechnet in Dresden, wieder eine NPD im Landtag sitzt. In keiner Stadt sollte klarer sein, wo all der Nationalismus hinführt. Aber leider zeigen beispielsweise die Zahlen aus der neuesten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, dass solche Anachronismen wieder überhandnehmen. Die Reichweite nationalistischer Parolen ist erschreckend.
Hat ein Film wie "Nacht über Berlin" dann auch eine gesellschaftliche Aufgabe?
Ja, auch wenn ich es nicht zu hoch hängen würde. Einer fühlt sich gut unterhalten, der Andere schaut sich den Film an und kommt ins Grübeln, wieder ein Anderer bezieht das Gesehene auf Heute, macht sich Gedanken und handelt danach vielleicht sogar anders. Das liegt aber an den Menschen selbst. Ein Film ist kein Generalschlüssel für das Gewissen und mehr Verantwortung. Das gibt es nicht. Den Nationalsozialismus im Film zu behandeln, finde ich aber nach wie vor wichtig. Und das muss auch im Unterhaltungsprogramm stattfinden.
Das Interview führte CHRISTOPH PRAMSTALLER von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen