Montag, 21. Januar 2013

+++TRIUMPH und TRAGIK+++


So richtig freut sich in Berlin am Wahlabend kaum jemand - vor allem nicht bei der CDU. Zum Auftakt des Wahljahres wollte sie in Hannover eigentlich feiern - und ist nun die große Verliererin. SPD wie Grüne müssen sich hingegen fragen, wie die knappe Wahl wohl ohne Peer Steinbrück ausgegangen wäre.

Eckart von Klaeden versichert glaubhaft, einige Jahre sei auch er nun schon in der Politik. Seit 1994 gehört der Niedersachse dem Bundestag an. Seit der vergangenen Bundestagswahl sei er nun auch Staatsminister im Bundeskanzleramt. Er sei also erfahren und habe auch schon einiges in der Politik erlebt. Eines aber noch nicht: Einmalig sei es in diesem Wahlkampf gewesen, wie viele Freunde und Anhänger seiner CDU auf ihn zugegangen seien und versichert hätten: „Dieses Mal wähle ich die FDP. Sie darf nicht untergehen. Nur mit der FDP kann die CDU in Niedersachsen die Regierung fortsetzen.“ Eckart von Klaeden ist umringt von Journalisten - an diesem Sonntag der Niedersachsen-Wahl im Konrad-Adenauer-Haus, der Parteizentrale der Bundes-CDU. Soeben haben die Gäste, Parteifreunde zumal, die an die zehn Prozent reichenden Prognosen für die FDP mit gefühligem Beifall, die 37 Prozent für die CDU aber mit Schweigen zur Kenntnis genommen. Leihstimmen für die FDP? Ja. Aber gleich zehn Prozent? Das wäre doch des Guten zu viel, drückt seine Mimik aus. Und selbst als im Foyer via Fernsehen auf der Basis von Hochrechnungen dargelegt wird, CDU und FDP könnten im Landtag zu Hannover einen Sitz mehr als SPD und Grüne haben, brechen die Gäste nicht in Jubelgesänge aus. Zu knapp ist es, und wenige Stimmen können alles verschieben, wissen sie.

Dabei hatten sich vor Tagen der Spitzenkandidat in Niedersachsen und seine Parteiführung in Berlin eines vorgenommen: An diesem Sonntag, zu Beginn des Jahres, dessen politischer Höhepunkt die Bundestagswahl im Herbst sein wird, sollte gefeiert werden. Entweder bloß die Bestätigung, wieder stärkste Partei geworden zu sein, oder sogar der Umstand, abermals mit der FDP die Landesregierung bilden zu können. Mit der Entwicklung der Umfragezahlen seit Mai vergangenen Jahres, seit jenen Tagen, als die CDU die Macht im bevölkerungsreichsten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen nämlich, verloren hatte, machten sich die CDU und voran der Spitzenkandidat David McAllister selbst Mut. Damals, im Mai, hatte die SPD in Niedersachsen noch vorne gelegen. Im September überflügelte dann die in Hannover regierende CDU die SPD. Seither war in Land und Bund davon die Rede, man sei auf der „Überholspur“. Rückläufige Zahlen bei der SPD, stagnierende Werte bei den Grünen, ein leichtes Auf der FDP in Richtung „fünf Prozent“. Schier aus der Fassung gerieten die CDU-Strategen. Ihre Leihstimmen-Kampagne zugunsten der FDP verhüllten sie nur mit dem Notwendigsten.

Tektonik ohne Rückenwind

Im Land wie im Bund wussten sie: Kein noch so gutes Ergebnis hülfe der CDU, sollte die FDP an der Fünfprozenthürde scheitern. Stimmenverluste der CDU von mehr als fünf Punkten waren aber nie vorgesehen gewesen. Immerhin hatten die CDU-Oberen doch die Auffassung verbreitet, mit Niedersachsen solle ein guter Start in das Wahljahr gelingen. Niedersachsen, Vorbild für den Bund?

Hermann Gröhe, der Generalsekretär, hat für derlei Fragen ein Mantra parat. Erstens sei jede Wahl für sich zu bewerten - eine Landtagswahl ist eine Landtagswahl, pflegt Angela Merkel zu sagen. Zweitens sei es ohnehin das Ziel seiner Landespartei gewesen, stärkste Kraft im Landtag zu bleiben und mit dem alten Partner die Regierungsarbeit fortsetzen zu können. Mindestens das erste Ziel sei erreicht worden. Und drittens stehe nicht einmal das Ergebnis des Sonntags fest - wie also könne man daraus Lehren für den Bundestagswahlkampf ziehen? Außerdem: Der beginne erst im Sommer, und bis dahin sei noch harte Regierungsarbeit zu leisten.

Für den Rest gilt der Spruch: „Das kann ein langer Abend werden.“ Damit seine Freunde klatschen, ruft Gröhe ihnen ein Wort der Zuversicht zu. Die Gäste verhalten sich wie gewünscht. Sie klatschen, und dann gehen sie.

Steinbrück steht gebeugt und schwitzt

Um 18.43 Uhr - später als angekündigt - betreten Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück die Bühne im Willy-Brandt-Haus. Verhaltener Applaus, der Kanzlerkandidat wirkt extrem angespannt, Gabriel setzt sein Kampfstrahlen auf. Der SPD-Vorsitzende dankt den Genossen für einen engagierten Wahlkampf, es folgt ein Verweis auf die Verluste der CDU, eine hämische Bemerkung („Fremdblutzufuhr“) über die FDP und dann ein Satz, auf den alle in der Parteizentrale gewartet haben: „Rückenwind“, das könne man sagen, habe es aus dem Bund nicht gegeben. Steinbrück steht leicht gebeugt neben ihm und schwitzt. Auch er lobt Stephan Weil, der Themen richtig gesetzt habe - fast klingt Steinbrück ein wenig neidisch. Dann wird er deutlich: Auch er wiederholt die Formel vom mangelnden „Rückenwind“ aus dem Bund, fügt aber hinzu, ihm sei klar, dass er eine „gewisse Mitverantwortung“ trage. Nun applaudieren einige Genossen demonstrativ, was Gabriel säuerlich registriert.

Später wird Steinbrück seine Selbstkritik mehrfach paraphrasierend wiederholen. Wie es um ihn steht, offenbaren seine Formulierungen: „Vielleicht habe ich durch das, was ich in den letzten Wochen dargestellt habe, dazu beigetragen, dass es nicht weiter nach oben ging“. Aber ein Absturz sei es nicht. Ein Sozialdemokrat bringt in Unkenntnis des Ausgangs des Wahlabends die wahre Stimmung auf den Punkt: Ohne den Steinbrück-Malus hätten wir um 18 Uhr einen klaren rot-grünen Wahlsieg feiern können.

Von offizieller Seite freilich gab es schon vor dem Schließen der Wahllokale in Vorausahnung eines langen Abends eine andere Deutung: Die SPD habe dazugewonnen, trotz der Debatte über Steinbrück. Eine Auswechslung des Kanzlerkandidaten sei also kein Thema. Kein Thema? Am Freitagabend hatte Gabriel sich mit Steinbrück in Braunschweig zu einem vertraulichen Gespräch getroffen. Später hieß es, Gabriel habe sicher sein wollen, dass Steinbrück weitermache, und ihn nötigenfalls zum Bleiben überreden wollen. Das sei aber nicht nötig gewesen. Je näher der Wahltermin in Niedersachsen rückte, umso größer war der Pessimismus unter den Genossen geworden. Es sei schlicht falsch gewesen, dass Steinbrück die Wahl zusätzlich bundespolitisch aufgeladen habe, als er, um einen Ausweg aus dem Schlamassel seiner Vortragshonorare zu finden, sagte, sollte Rot-Grün in Hannover siegen, gäbe es „eine ganz neue Mechanik und Tektonik“ in der Republik.

Als Steinbrück sich nach zwanzig Minuten unter den Genossen, die er „liebe Freunde“ und „meine Damen und Herren“ nennt, wieder in die oberen Etagen begibt, wird im Fernsehen gerade ein Patt beider Lager vermeldet. Ein Machtwechsel sei möglich, hatte Steinbrück zuvor noch gesagt, obschon seine Leute mit Blick auf die Überhangmandate weniger Hoffnung verbreiteten.

Der Schmerz klingt lauter

Bei den Grünen gilt der lauteste Schrei um 18 Uhr der FDP - der Schmerz über ihren Erfolg ist in der ersten Sekunde stärker als die Freude über die eigenen Zuwächse. Nach einer halben Stunde haben sich in Berlin die Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt und der Parteivorsitzende Cem Özdemir dann eine Sprachregelung zurechtgelegt: Das erste Wahlziel der Grünen - ein besseres Ergebnis als die acht Prozent aus dem Jahr 2008 - sei jedenfalls geschafft, stellen sie fest. Und gehen anschließend ohne Umschweife auf die Perspektiven für die Bundestagswahl im Herbst über: Es gebe eine Chance für die Ablösung der schwarz-gelben Mehrheit im Bund, beteuert Özdemir, das Rennen sei offen.

Erst in den folgenden Sätzen schwingen Töne der Enttäuschung über das Abschneiden der Sozialdemokraten mit: „Die SPD muss ihr Ergebnis verbessern“, stellt der Parteivorsitzende fest, und: „Die SPD muss jetzt noch eine Schippe zulegen“, damit eine rot-grüne Mehrheit im Bund möglich werde. Und dann macht Özdemir noch eine Bemerkung, aus der deutlich wird, dass er jedenfalls von einer Leihstimmen-Kampagne der Grünen zugunsten der SPD nichts hält: Denn bei der SPD könne man „ja nie sicher sein, ob sie ihre Stimmen am Ende nicht in eine große Koalition einbringt“.

Das solide zweistellige Ergebnis bestätigt die Grünen am Sonntagabend auch darin, dass sie, jedenfalls in Niedersachsen, mit dem Propagieren natürlicher Tierhaltung, mit dem Protest gegen Massen-Fleischproduktion, das ihren Wahlkampf bestimmte, ein neues Mobilisierungsthema gefunden haben. Gerade in Niedersachsen, dem Bundesland, das die Atommüll-Endlagerbaustelle Gorleben beherbergt, waren die Grünen bislang mit ihrem Widerstand gegen die Kernenergie identifiziert worden; nun haben sie ein neues thematisches Merkmal gewonnen. Und so breitet sich im Verlauf des Abends allmählich Gelassenheit aus in der Berliner Grünen-Zentrale.

Verspielt, abgesoffen

Die Lage ist ernst, das spürt jeder, der früh am Wahlabend in die Bundesgeschäftsstelle der Linkspartei am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin kommt. Es fehlt jede Leichtigkeit, nicht einmal leise Bosheit gegen die vermeintlichen Verlierer liegt in der Luft. Gelächter nur, wenn es im Fernsehen um die FDP geht. Die eigenen Wahlergebnisse - um die drei Prozent - rufen gedämpftes Stöhnen hervor. Geschäftsführer Matthias Höhn kommt, bedankt sich bei den niedersächsischen Wahlkämpfern und der bisherigen Landtagsfraktion, nennt das Ergebnis „schmerzhaft“. Er erinnert daran, dass seine Partei bis zum Parteitag in Göttingen „viel Vertrauen verspielt“ habe. Mit der Wahl von Katja Kipping und Bernd Riexinger habe sie vor einem halben Jahr einen „Neustart“ gewagt.

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