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Mittwoch, 23. Januar 2013
+++LINCOLN - Filmkritik+++
Abraham Lincoln schaffte 1865 die Sklaverei ab, drei Monate später wurde er von einem Attentäter erschossen. In dem für zwölf Oscars nominierten Großepos "Lincoln" mit Daniel Day-Lewis hat Steven Spielberg seine Hochform wiedergefunden. Und schickt nebenbei eine Mahnung an Obama.
Ganz am Anfang hört man die Geschichte raunen, "auf dass wir hier einen heiligen Eid schwören, dass diese Toten nicht vergebens gefallen sein mögen - auf dass diese Nation, unter Gott, eine Wiedergeburt der Freiheit erleben - und auf dass die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk, nicht von der Erde verschwinden möge." Schwarze Soldaten rezitieren aus der Gettysburg Address - und ihr Zuhörer ist der Präsident selbst, Lincoln, der seinen eigenen Worten lauscht, sein Echo hört aus dem Volk, für das er diese Rede geschrieben hat. Das ist noch ein wenig berührender, als ihn selbst diese große Rede halten zu lassen.
Es geht in Steven Spielbergs politischem Großepos "Lincoln", für immerhin zwölf Oscars nominiert um die Monate vor der Abstimmung über den 13. Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung am 31. Januar 1865. Der schaffte dann die Sklaverei ab, doch drei Monate nach der Abstimmung wurde Lincoln vom Attentäter John Wilkes Booth erschossen.
Im Film steht der Präsident noch unter Druck. Der konservative Flügel der republikanischen Partei will vor allem den Bürgerkrieg beenden. Die Opposition hält Lincoln für einen Tyrannen. Den Radikalen sind seine Standpunkte zu weich. Lincoln betrauert noch einen seiner Söhne, seine Frau ist hysterisch, die Verantwortung des Krieges lastet auf ihm. Und vielleicht beschließt er gerade deswegen, alle Mittel auszuschöpfen, um dem Kongress seinen Willen aufzuzwingen.
Der Dramatiker Tony Kushner hat für das Drehbuch das Buch "Team of Rivals: The Political Genius of Abraham Lincoln" von Doris Kearns Goodwin verwendet. Spielberg hat dazu eine umtriebige, schmuddelige Atmosphäre addiert, die ein Drama, das eigentlich aus Worten entsteht, zu einem Abenteuer macht. Und dann Daniel Day-Lewis , der eine unglaubliche Verwandlung zu Lincoln hinlegt. Als vom Krieg und vom Leben gezeichneter Mann von 55 Jahren, kein Intellektueller, sondern ein kluger Pragmatiker, mit einer Stimme, die einen zum genauen Zuhören verdammt. Ein grandioser Auftritt. Manchmal wirkt er sogar lustig, wenn er seinen Jüngsten hinkend auf dem Rücken ins Bett schleppt, aber trotz der Verkleidung und all den Wehwehchen wirkt das nie lächerlich, weil die Figur, so wie er sie spielt, Selbstironie hat.
Steven Spielberg ist der erfolgreichste Filmemacher unserer Zeit, aber so richtig unschlagbar gut ist er immer dann, wenn ihm das, wovon er erzählt, etwas bedeutet. Er hat die Gabe, Emotionen in Bilder zu verwandeln, und es ist vielleicht ganz logisch, dass das nur funktioniert, wenn diese Emotionen auch ganz und gar seine eigenen sind. Mit "Lincoln" ist er wieder ganz bei sich, hat den magischen Touch wiedergefunden, der "Tim und Struppi" und den müden Schlachtrössern in "War Horse" fehlte.
Seine Protagonisten in "Lincoln" sind beide versehrt, aber müde Schlachtrösser sind sie nicht. Sie sind voller Leidenschaft. Abraham Lincoln, 16. Präsident der Vereinigten Staaten, ist mit Leib und Seele Politiker. Der andere ist kein Südstaaten-Sklaventreiber, der ihm das Handwerk legen will , sondern der größte, leidenschaftlichste, wütendste aller Gegner der Sklaverei, der Abolitionist Thaddeus Stevens, in den Tommy Lee Jones, der Sturköpfe spielen kann wie kein Zweiter, einen Starrsinn hineinlegt, der von Herzen kommt. Er kann für seinen Standpunkt, gegen die Barbarei, ganz wunderbar argumentieren, aber im Kern verteidigt er ihn nicht rational. Es ist das, was er glaubt, was er lebt und was er empfindet.
Warum diese Geschichte gerade jetzt?
Ein Bündnis mit dem Präsidenten will er nicht eingehen. Stevens geht Lincolns Entwurf für den 13. Zusatz zur Verfassung nicht weit genug, weil er nicht die gleichen Rechte für alle verankern will, sondern nur die Sklaverei verbiete. Viel zu wenig für einen Mann, der später verfügen wird, dass er auf einem der wenigen Friedhöfe beigesetzt wird, die jeden nehmen. Nicht mal im Tod wollte er die herrschende Rassentrennung ertragen.
Stevens ist also eigentlich der kinotypische Held in dieser Geschichte. Und gerade in diesem Zusammenspiel wird Lincoln die spannendere Figur, weil er widersprüchlicher ist. Spielberg hätte seinen Lincoln als eindimensionale Heldenskizze entwerfen können, als Mann, der an Freiheit und Gleichheit glaubt und tut, was er tun muss. So verfährt das Kino mit den Präsidenten, die es für würdig befunden hat, sie nachzuzeichnen, ganz oft. Ganz richtig wäre das nicht gewesen - Lincoln war eben kein Radikaler vom Schlag eines Thaddeus Stevens. Es ging aber auch noch um ganz andere fundamentale politische Entscheidungen: Wie kann man den Bürgerkrieg beenden, welche wirtschaftlichen Konsequenzen hätte die Verfassungsänderung?
Bei Spielberg erzählt Lincoln einmal, dass sein Vater die Sklaverei für falsch hielt, er nimmt seinem Sohn die Bilder von kleinen Kindern weg, die auf einem Sklavenmarkt angeboten werden. Aber als er selbst erklären soll, was er meint, bemüht er die Logik, nicht sein Gefühl. Wenn zwei Gegenstände demselben Gegenstand gleichen, dann sind auch sie selbst gleich. Das Herz und den Glauben, mit dem Stevens seine Ansicht verteidigt, hat er nicht. Aber die Rationalität und Disziplin, durchzusetzen, was er für machbar hält.
Sternstunden und Schattenseiten der Demokratie
Und das ist dann das Herzstück dieses Films: die politische Intrige - man kann es nicht anders nennen - mit der Lincoln in einer Welt, in der Weiße um ihn herum für die Schwarzen nur Abscheu und Verachtung übrig haben, das Ruder herumreißt, die Stimmung im Kongress für die Abstimmung reif macht. Es wird geschachert und gekämpft. Lincoln lässt seinen Außenminister William Seward (David Strathairn) ein paar finstere Gestalten engagieren, die die politischen Gegner heimlich weich klopfen sollen. Es ist ein Tauziehen der Argumente. Es werden Gegner umworben und die Abtrünnigen auf der eigenen Seite unter Druck gesetzt. Lincoln spielt das Spiel, und gewinnt.
Warum will Spielberg diese Geschichte erzählen, und warum will er sie gerade jetzt erzählen?
Sein "Lincoln" ruft in die Gegenwart hinüber. In manchen Momenten ist dieser Film eine Botschaft nach Washington, eine Mahnung an Obama: Wenn du gewinnen willst, dann spiel das Spiel. Spielberg, und vor allem natürlich auch sein Autor Tony Kushner, treffen da einen Nerv. Die Politikverdrossenheit im Westen hat ja viel damit zu tun, dass die Schattenseiten der Demokratie so schwer zu ertragen sind. Politiker sind kein Weisenrat, sie vertreten unterschiedliche Interessen und Auffassungen, und jede Entscheidung wird zur Verhandlungssache. Das birgt immer die Gefahr, dass Politik zum Spielball von Lobbyisten wird oder von rhetorisch begabten Wirrköpfen.
Doch in der Geschichte, die Spielberg erzählt, ist die Manipulation eine Chance - die Chance, eine Idee durchzusetzen, die ihre Mehrheit erst noch finden muss. In diesem Fall die Abschaffung der Sklaverei auf amerikanischem Boden. Spielberg mag kein großer Theoretiker sein, aber kein anderer Regisseur kann so vollkommen ein Gefühl für etwas vermitteln. In "Lincoln" ist es das Empfinden dafür, dass die Sternstunden der Demokratie ihre Schattenseiten wert sind.
Lincoln, USA 2012 - Regie: Steven Spielberg. Drehbuch: Tony Kushner. Kamera: Janusz Kaminski. Mit: Daniel Day-Lewis, Tommy Lee Jones, Sally Field, David Strathairn. Fox, 145 Minuten.
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