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Montag, 10. Dezember 2012
+++SUPE(E)R und die SPD+++
Sie liebt mich, sie liebt mich nicht. Er liebt mich, er liebt mich nicht. SPD und ihr Kanzlerkandidat Peer Steinbrück haben auf dem Sonderparteitag beschlossen, sich zu mögen. Ob das gut gehen kann?
So, es ist vollbracht. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Die SPD hat Peer Steinbrück nun auch offiziell ins Rennen um das Kanzleramt geschickt. Mit knapp 93,5 Prozent haben die Sozialdemokraten ihren Kandidaten auf dem Sonderparteitag in Hannover gekürt.
Es ist ein angemessenes Ergebnis für die wohl sozialdemokratischste Rede, die Peer Steinbrück in seinem Politikerleben gehalten hat. Sie war lang. Sie war teilweise witzig. Es kamen alle darin vor, mit denen sich SPD-Mitglieder in schweren Zeiten moralisch aufrüsten lassen. Willy Brandt, Otto Wels, Erhard Eppler und auch, dafür ist er so alt geworden, Helmut Schmidt. Der Parteitags-Redner Steinbrück hat die Regierung gebasht, wie es sich für einen Angreifer gehört. Er hat für mehr Wir plädiert und für weniger Ich.
Er hat noch einmal sein Ziel Rotgrün bekräftigt und der Großen Koalition entsagt, und zwar TINA-mäßig, there is no alternativ, für ihn jedenfalls. Er hat eine Staatsministerin für Gleichstellung und Frauen angekündigt, falls er es ins Kanzleramt schafft. Er hat sich sogar noch einmal zerknirscht wegen seiner Vortragshonorare. Und er hat gezeigt, dass er beileibe nicht nur über sein Leib- und Magenthema Finanzen reden kann. Sondern auch, zum Beispiel, über Wohnungsbau und effizientes Energiemanagement. Was mal zu beweisen war.
Das Ergebnis ehrlich zu nennen fällt schwer
Er hat sich sein gutes Ergebnis also im Wortsinne redlich verdient. Es war keine Annäherung durch Anwanzen, das nicht. Dazu ist der Sozialdemokrat, der in Steinbrück steckt, immer zu stark übersehen worden - auch weil Steinbrück das gar nicht so unlieb war. Das ist das eine. Andererseits: Was blieb den Delegierten anderes übrig, als Steinbrück ihr, nun ja, Vertrauen zu schenken.
Das Ergebnis ehrlich zu nennen fällt deshalb trotz seiner rotglänzenden Rede schwer. Wer vor, sagen wir mal großzügig, zwei Jahren prophezeit hätte, die SPD würde freiwillig Steinbrück aufstellen, wäre als Fall für die Jungs mit den weißen Jacken einsortiert worden. Als nicht ganz bei Trost. Und um bei der Wahrheit zu bleiben: Ganz freiwillig war es ja auch nicht. Die Sozialdemokraten haben Steinbrück vorgesetzt bekommen. Und seine ersten Wochen als Kandidat haben die Vorurteile gegen ihn eher bestätigt als widerlegt.
Sozialdemokratische Theorie
Ein bisschen erinnert die neue Zwangsschicksalsgemeinschaft SPD/Steinbrück an Sidney Kramers Filmklassiker "Flucht in Ketten". Darin büxen zwei Sträflinge aus, ein rassistischer Weißer und ein großmäuliger Schwarzer. Sie sind einander spinnefeind, würden sich am liebsten gegenseitig die Gurgel umdrehen, nur kann dummerweise der Eine nicht ohne den Anderen, denn sie sind aneinander gekettet. Das kann eigentlich nicht gut enden. Allmählich aber gewöhnen sie sich aneinander, am Schluss entsteht sogar so etwas wie Freundschaft zwischen ihnen. Im Film gibt es so etwas.
Aber so weit sind Steinbrück und die SPD noch lange nicht. Zwar hat der Kandidat sich bereits vor Hannover bemüht, auf die Genossen und, vor allem, Genossinnen zuzugehen. Zwar ist die - zumindest gefühlte - inhaltliche wie atmosphärische Kluft zwischen weiten Teilen der Partei und Steinbrück in Hannover vielleicht kleiner geworden, auf jeden Fall besser bedeckt. Aber: Vorhanden ist sie noch. Das kann eine Bürde sein, es kann aber auch zum Vorteil im Wahlkampf werden. Wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel die Traditionswähler mobilisiert und Steinbrück zugleich die geforderte "Beinfreiheit" erhält und auch nutzt, um in andere Wählerschichten einzubrechen. In der Theorie kann das gelingen. Und in Theorie sind Sozialdemokraten ja groß.
Fürs Erste haben SPD und Steinbrück also ihren Burgfrieden miteinander gemacht. Die letzten Heulsusen flennen höchsten still in sich hinein. Das mag daran liegen, dass Gabriel die Partei doch überraschend gut im Griff und mit Formelkompromissen wie bei der Rente einigermaßen befriedet hat. Es mag auch daran liegen, dass die jüngere Genossen-Generation inzwischen ihren Müntefering ("Opposition ist Mist") gelernt hat. Es mag nicht zuletzt daran liegen, dass Steinbrück sich doch als ein wenig biegsamer erweist als vermutet oder befürchtet. Letztendlich ist es egal. Was zählt, ist das Resultat: eine für SPD-Verhältnis bemerkenswerte Ruhe. Fast gespenstisch.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr
Mal schauen, wie lange sie hält. Wer die SPD näher kennt, darf fürchten, dass das Geschrei schon bald anheben könnte. Eine gute Gelegenheit dazu böte sich bereits in gut einem Monat. Am 20. Januar wählen die Niedersachsen ihr Landesparlament. Das ist so etwas wie die Pflicht im Bundestagswahlkampf. Wer die verpatzt, hat es bei der Kür im September schwer. Steinbrück selbst spricht davon, dass das niedersächsische Ergebnis die "politische Mechanik" für das Wahljahr verändern werde. Er denkt natürlich: zu Gunsten der SPD und Rot-Grün.
Es kann aber auch genauso gut sein, dass ihm die Mechanik um die angelegten Ohren fliegt. Ja, die Umfragen sehen im Augenblick gut aus für SPD und Grüne. Allerdings nur auf den oberflächlichen Blick. Guckt man etwas genauer hin, sieht es so aus: Die FDP braucht nur noch ein Prozent, dann kann David McAllister weiter schwarzgelb regieren in Niedersachsen. Ein einziges Prozent. Daran hängt es momentan, ob Steinbrück nach den verpatzten ersten Monaten doch noch ein Neustart gelingt, der diesen Namen verdient. Das kann gut gehen. Muss aber nicht.
Aber Sozialdemokraten sind bekanntlich ins Gelingen verliebt. Behaupten sie jedenfalls vor allem dann gerne, wenn die Aussichten etwas aufgehübscht werden müssen. Manchmal hilft Autosuggestion sogar. Auch deshalb haben SPD und Peer Steinbrück nun beschlossen, sich etwas mehr zu mögen und das bis auf Weiteres auch nach außen zu demonstrieren. Und wer weiß, vielleicht geht dieses Bündnis sogar mal in die Geschichte ein, als Wunder von Hannover.
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