Mittwoch, 17. April 2013

+++MARGARET THATCHER UND IHRE NACHRUFE, oder einfach ein schwieriges Lebenswerk+++


Nachrufe und Trauerreden sind Genres der warmen Worte. Der Abschied von Margaret Thatcher, die heute beigesetzt wird, löst dagegen auch Hasstiraden aus. Schlecht über Tote reden - ein Tabubruch?


Wenn jemand stirbt, wird meist nur gut über ihn gesprochen. Nicht so bei der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, der die Briten an diesem Mittwoch in einer pompösen Trauerfeier in London die letzte Ehre erweisen. Ein Anti-Thatcher-Lied stürmt die Charts, einige Briten veranstalten Demonstrationen oder sogar Freudenfeiern und schwenken Kaffeebecher mit dem Aufdruck "I still hate Thatcher" - "Ich hasse sie immer noch". Darf man das? Über Tote schlecht reden? Die Antwort ist gar nicht so leicht.

Lateiner können ein Sprichwort bemühen: Über die Toten soll man nur gut reden - "De mortuis nihil nisi bene". Spitzfindige verweisen allerdings darauf, dass damit nicht zwingend der Inhalt gemeint sei, sondern vor allem die Art und Weise, über den Verstorbenen zu reden. Bei den alten Griechen, auf deren Sieben Weisen der römische Leitspruch zurückgeführt wird, galt Lästern über Tote als Verstoß gegen göttliche Regeln. Das Ansehen der Verstorbenen war unantastbar. Als Konvention hat diese Vorstellung überdauert.

Wenn ein Schauspieler, Musiker oder Politiker das Zeitliche segnet, überwiegen in der Regel warme Worte - auch wenn der Betreffende zu Lebzeiten umstritten war. Es gebe traditionell große Vorbehalte, das Lebenswerk von Toten zu kritisieren, sagt der Philosophie-Professor Rüdiger Bittner von der Universität Bielefeld. "Ich finde den Ton von Nachrufen oft unwahrhaftig: Im Nachhinein liegen wir uns alle in den Armen und halten uns für prima Politiker", kritisiert er. "Das scheint mir zum Teil verlogen."

Tote können sich nicht wehren

Selbst der streitbare "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein rechtfertigte sich 1988 ausdrücklich dafür, seinen Rückblick auf den verstorbenen CSU-Politiker Franz Josef Strauß - mit dem er in erbitterter Gegnerschaft verbunden war - nicht wohlgestimmt zu halten. "Dass am Schluss alles ausgeklammert wird, was stört, und alles illuminiert, als hätten wir hier den König der Könige vor uns, auch das geht nicht", schrieb er.

Der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff von der Universität Freiburg hält diese Zurückhaltung für angebracht. "Das ist ein sinnvolles gesellschaftliches Tabu", sagt er, "weil in der Pietät gegenüber dem Verstorbenen das Andenken zum Ausdruck kommt." Dies sei auch ein Schutz: "Der Betreffende hat keine Möglichkeit, sich zu wehren." Zudem träten mit dem Tod viele Kontroversen in den Hintergrund. Als Beispiel nennt er den zu Lebzeiten ebenfalls umstrittenen SPD-Kanzler Willy Brandt.

Rüdiger Bittner führt die Befangenheit beim Umgang mit dem historischen Erbe Verstorbener auf mythische Ideen zurück, "an die wir in Wirklichkeit nicht mehr glauben". "Dahinter steckt die Vorstellung, dass Tote in irgendeiner Weise weiterleben und uns in unserem Tun aus dem Jenseits heraus einschätzen."

Ring frei für das Lebenswerk Verstorbener

Der amerikanische Autor Glenn Greenwald kritisiert die Zurückhaltung aus Pietät bei ehemaligen Staatenlenkern wie Margaret Thatcher: "Die Forderung nach respektvoller Stille infolge des Todes einer öffentlichen Person ist nicht nur fehlgeleitet, sondern gefährlich", schreibt er auf der Website des "Guardian".

Auch Bittner plädiert für mehr Offenheit beim Umgang mit dem Lebenswerk Verstorbener. "Grundsätzlich: Ring frei", sagt er. "Es ist das Recht des Historikers, zu sagen, was am Tun eines Menschen förderlich war und was nicht." Aber es gebe Grenzen. "Auf der anderen Seite würde ich es im moralischen Sinne für geschmacklos halten, Jubelfeiern zu inszenieren." Ein Schmählied wie bei Thatcher sei kein guter Stil, sagt Theologe Schockenhoff. "Sachliche Kritik ist natürlich in Ordnung."

"Dass ein Mensch nicht mehr lebt, kann nicht automatisch dazu zwingen, die Wahrheit zu verdrehen", argumentierte der Kolumnist Rainer Erlinger in der "Gewissensfrage" des "SZ-Magazins". "Nur - und das scheint mir entscheidend -, es ist oft nicht mehr nötig, sie auszusprechen. Und noch weniger, es in böser Art und Weise zu tun."

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