Dienstag, 26. Februar 2013

+++ITALIEN, oder die verhinderte Republik+++


Dieses Wahlergebnis ist eine Zumutung: Wenn in Italien überhaupt eine Regierungsbildung gelingt, dann nur nach langer Hängepartie. Das Wahlbündnis von Silvio Berlusconi wird wohl nicht mehr lange halten, trotzdem kann er großen Schaden anrichten. Europa wird mitleiden.

Es war schön, aber kurz. Durchatmen nach den ersten Prognosen in Brüssel und Berlin, an den Börsen in Mailand, Frankfurt am Main und London steigen die Kurse, fällt der Strafzins auf Italo-Anleihen: Silvio Berlusconi hat es nicht geschafft. Gewonnen hat sein Gegenmodell, der gemäßigte Linke Pier Luigi Bersani. Halb Italien und der Rest der Welt freuen sich.

Kurz darauf bröckeln die Kurse, steigen die Zinsen wieder nach neuen Prognosen: Berlusconi hat nach Auszählung der Stimmen im Senat, der zweiten Kammer des römischen Parlaments, die meisten Sitze. Und, sensationell und unerwartet, die Bewegung "Fünf Sterne" des rabiaten Ex-Komikers Beppe Grillo holt im Senat 25,55 Prozent. Beide zusammen, Berlusconi und Grillo, haben damit eine Blockademehrheit im Senat. Gegen die beiden geht nichts. Sie können sich zwar nicht ausstehen, aber beide sind gegen Europa, gegen "die in Brüssel", gegen das "Diktat aus Berlin". Mithin, sie stehen gegen alles, was eine Regierung Bersani jetzt tun wollte und tun müsste. Wie soll das gehen? Schon sprechen die ersten - Bersani-Freunde vor allem - von Neuwahlen. So sei Italien nicht regierungsfähig. Zumindest eine lange Hängepartie bei der Regierungsbildung ist sicher - wenn sie überhaupt gelingt.
Das ist das wohl ungünstigste Szenario des italienischen Wahlausgangs - von einem Comeback Berlusconis an die Regierungsspitze abgesehen. Europa wird mitleiden. Denn ein sieches, unregiertes Italien, drittstärkste Wirtschaftsmacht im Euro-Raum, wird erneut zum Spielball der Spekulation werden. Roms Zwei-Billionen-Euro-Schuldenberg wird wieder höhere und immer höhere Zinsaufschläge verbrauchen und so neue Löcher in die klamme Staatskasse reißen. Und ein taumelndes Italien bringt ganz Europa in Gefahr. Es sei denn, Bersani findet Partner, die ihm zu einer Mehrheit im Senat verhelfen. Das freilich braucht ein Wunder.

In der Abgeordnetenkammer hat der Mitte-links-Vormann die Mehrheit. Zwar hat er keinen riesigen Vorsprung vor Berlusconis Bündnis. Aber weil Bersani dort der Stärkste ist, werden ihm, so sieht es das Wahlgesetz vor, so viele Sitze zugeschlagen, bis er 340 Mandate hat, etwa 54 Prozent aller Sitze. Die Regel soll für eine stabile Regierung sorgen. Tut sie auch. Im Unterhaus.

Im Oberhaus, dem Senat, werden solche Mehrheitsaufschläge regional verteilt, weil auch nach Regionen getrennt gewählt und ausgezählt wird. Und da sieht es für Bersanis Regierungsträume finster aus. Im Senat erreicht keine Kraft die nötige Mehrheit von 158 Sitzen, auch eine Koalition von Bersani und Monti würde nicht reichen. Dafür war Monti vorgesehen. Der hat freilich dramatisch verloren.

Schlappe für Monti

Denn deutlich abgeschlagen, weit hinter dem als Politik-Clown verspotteten Grillo, landete der einst als "Retter Italiens" gefeierte Wirtschaftsprofessor Mario Monti. Er hatte zwar die katholische Kirche, die Unternehmer, das Bürgertum, das Ausland, allen voran die Regenten in Berlin und Brüssel auf seiner Seite - aber nicht das Volk. Gerade einmal zehn Prozent der Stimmen fürs Abgeordnetenhaus und neun Prozent für den Senat holte Monti - es ist eine magere Ausbeute. Die Mehrheit der Italiener, ob jung oder alt, arm oder reich, hat nur noch gestöhnt über die ins Unerträgliche gestiegene Steuerlast, sinkende Kaufkraft und eine dramatische Pleitewelle. Noch einmal Monti? Nein, danke.

Wenn die Senatoren aus dem "Fünf Sterne"-Block von Beppe Grillo mit Berlusconi gegen das Duo Bersani-Monti votieren, ist alles aus. Die beiden können, so sie einig sind, alles überstimmen. Ohne den Senat kann man aber nicht regieren. Jedes Gesetz braucht außer der Mehrheit in der Kammer das Okay der meisten Senatoren.

Rechter Ökonom und Ex-Kommunisten

Also muss Bersani Verbündete finden. Er hat ja im Wahlkampf immer gesagt, er sei "für Allianzen offen". Damit dachte er natürlich primär an Monti. Doch schon mit ihm einig zu werden, wäre schon schwierig geworden.

Monti gehört eher ins Mitte-rechts-Lager, seine wirtschaftspolitischen Konzepte sind konservativ. Der Wirtschaftsprofessor war Berater der Investmentbank Goldman-Sachs, Vorstandsmitglied der Bilderberg-Konferenz, auf der sich die Reichen und Mächtigen dieser Welt unter Ausschluss der Öffentlichkeit treffen. Bersani entstammt dem kommunistischen Lager, das sich zur sozialdemokratischen Reformpartei wandelte. Seine Freunde sind Gewerkschafter, nicht Global Player der Finanzwelt. Monti steht nahe bei der Christdemokratin Angela Merkel, Bersani eher beim sozialistischen Präsidenten Frankreichs, François Hollande.

"Wir führen die Sparpolitik zum Abbau der Staatsschulden weiter", hatte Bersani vor der Wahl versprochen, aber er werde für "ein bisschen mehr Gleichheit und mehr Arbeit" sorgen.

PD-Wirtschaftssprecher Stefano Fassina äußerte sich konkreter. Die bislang betriebene Austeritätspolitik habe nur in die Rezession geführt. Ein weiteres Sparprogramm werde es deshalb nicht geben. Jetzt müsse man das Wachstum ankurbeln, mit staatlichen Investitionen in Bildung, Forschung, Infrastruktur. Das erhöht natürlich die Verschuldung - kein Masterplan nach Montis Geschmack.

Dazu kommt Bersanis Koalitionspartner Nichi Vendola, Vormann von "Linke, Ökologie, Freiheit". Der ist noch viel entschiedener gegen die EU-weite Sparpolitik als die PD. Mit dem wolle er nicht regieren, hatte Monti im Wahlkampf getönt, Bersani müsse Vendola verjagen, wenn er ihn, Monti, haben wolle. Der bekennende Schwule Vendola plane sogar, eine gesetzliche Basis für die "Homo-Ehe" zu schaffen. Das werde es mit ihm, Monti, nicht geben.

Umgekehrt, wenn Bersani Monti zu weit entgegenkommt, sagt Vendola womöglich "Ciao". Dann ist auch alles vorbei.

Verschwörung gegen das Volk

Ist die Partnerschaft mit Monti schon nicht leicht, wäre eine mit den "Grillini", wie die Anhänger des Total-Oppositionellen Beppe Grillo in Italien genannt werden, kaum vorstellbar. Denn die glauben, dass Politik und Banken, Justiz und Unternehmen, die Bürgermeister und die Presse, kurz das gesamte Establishment, sich gemeinsam verschworen hat: gegen das Volk, die Kleinen, die Jungen.

Was machen diese "Grillini" im Parlament? Bleiben sie stumm, stimmen sie gegen alles? Oder schließt sich ein Teil vielleicht einer Regierung Bersani an, wenn die ihnen einen radikalen Ab- und Umbau des italienischen Politikbetriebs zusichert?
Doch, wie verlässlich wäre eine solche Verbindung? Zumal der Chef der Truppe, der Ex-Komiker Grillo, selbst gar nicht ins Parlament will. Er bleibt draußen, in Frontalopposition gegen das Establishment.

Und Berlusconi? Sein Wahlbündnis mit der Lega Nord wird wohl nicht mehr lange halten, seine Partei womöglich zerbröseln. Aber er wird die Regierungsbildung und die nächste Regierung stören, so gut er kann. Denn er will ja noch etwas von den Behörden: einen irgendwie gearteten rechtlichen Dreh, um ihn vor dem drohenden Urteil der Justiz zu bewahren. Das wäre der Preis, damit Berlusconi sich noch einmal auf eine große Koalition mit Bersani einlässt - womöglich mit dem Wahlverlierer Monti als Regierungschef. Aber sehr wahrscheinlich ist das nicht. Und für Italiens Demokratie wäre es verheerend.


Keine Kommentare: