Donnerstag, 28. Februar 2013

+++ANJA RÖHL: "DIE FRAU MEINES VATERS", oder "Die liebe Ulrike von der RAF"+++


Ein Skandal? Wegen der Vorwürfe sexuellen Missbrauchs? Wegen geschwärzter Passagen? Eher nicht. Wenn etwas an Anja Röhls Buch "Die Frau meines Vaters" für Streit sorgen wird, dann ihr kindlicher Blick auf Ulrike Meinhof - und ihre große Sympathie für die RAF-Terroristin.

Es ist eine Kindheit, in der Liebe gleichgesetzt wird mit Sexualität, und Erziehung mit Gewalt. Auf der einen Seite die Mutter, die glaubt, "sie könne nur mit Schminke und mit schönen Kleidern, und wenn die Beleuchtung vorteilhaft ist, schön aussehen", ihre Affären und Flirts, bei denen sie die Tochter verleugnet: "Das ist meine kleine Schwester." Auf der anderen Seite der geschiedene Vater, der, wie Anja Röhl schreibt, davon gesprochen habe, Mädchen müsse man unter den Rock fassen können. Der seiner Tochter erklärt, wie man eine Frau ins Bett bekommt, der mit seinen Eroberungen geprahlt und sie so berührt habe, "wie man kein Kind berührt". Schließlich, so Röhl, Stockschläge, Herabwürdigung im Elternhaus und in Ferienheimen, eine Erzieherin namens Tante Anneliese, die ihr den Mund mit Leukoplast verklebt.

Es ist ihre eigene Kindheit, die Anja Röhl in ihrem Buch "Die Frau meines Vaters" schildert. Sie, 1955 geboren, ist die Tochter der Journalistin Bruni Röhl und des "Konkret"-Gründers Klaus Rainer Röhl. Seinen Titel verdankt das Buch nicht ihrer leiblichen Mutter, sondern der Frau, die ihr Vater 1961 in zweiter Ehe heiratet: Ulrike Meinhof.
Im Westdeutschland der Sechziger verkörperten Ulrike Meinhof und Klaus Rainer Röhl den linken Jetset. Meinhof, die als intellektuell brillant geltende "Konkret"-Kolumnistin und spätere Chefredakteurin. Röhl der "Konkret"-Herausgeber und Sportwagenfahrer, der sich auf Sylt mit Gunter Sachs, Gerd Bucerius und SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein trifft. Das alles schildert Anja Röhl. Doch entscheidend für ihr Buch ist etwas anderes: "Die Frau meines Vaters" ist die Würdigung Ulrike Meinhofs mit den Augen eines Kindes.

Hochtouriger Materialismus

"Eines Tages kommt der Vater das Kind abholen und sagt: 'Heute gibt's eine Überraschung. (...) 'Das ist Ulrike', sagt er, 'meine neue Freundin'", schreibt Anja Röhl. Die drei spielen Mensch-ärgere-dich-nicht. Als das Kind weint, wird es von der Freundin getröstet: "Gegen zwei Erwachsene kann man gar nicht gewinnen." Das Kind lächelt. Die Frau lächelt zurück. So etwas hat das Kind "noch nie erlebt".

Einige Parallelen gibt es zwischen "Die Frau meines Vaters" und Pola Kinskis im Januar veröffentlichtem, ebenfalls autobiografischem Buch "Kindermund": Das betrifft besonders die Missbrauchsvorwürfe, die Anja Röhl in ihrem Fall bereits 2010 im "Stern" erhoben hatte, und die sie im Buch wiederholt. Klaus Rainer Röhl hat der Darstellung seiner Tocher 2010 öffentlich widersprochen. Jetzt ist ein Zitat von ihm dem Buch vorangestellt: "Absurd" schreibt er über die Missbrauchsvorwürfe, "da ist nichts dran."

Im Vergleich dazu, wie Kinski in "Kindermund" von seiner Tochter Pola geschildert wird, mag Anja Röhls Beschreibung ihres Vaters Klaus Rainer deutlich weniger monströs wirken. In großspurigen Auftritten, hochtourigem Materialismus aber, sind sich Kinski und Röhl, der eine Jahrgang 1926, der andere 1928, erstaunlich ähnlich. Gleiches gilt für die jeweiligen Mütter Bruni Röhl und Gislinde Kühlbeck: Anja Röhl und Pola Kinski schildern sie unabhängig voneinander, als kühl, an der Tochter nicht sonderlich interessiert.

Beide Bücher zeichnen das Panorama einer Nachkriegszeit, in der Genuss und materieller Erfolg alles sind: "Das Teuerste ist immer das Beste", sagte Röhls Vater beim Autokauf, denn: "Teure Autos sind da, um zu zeigen, wer man ist." Kinski holte seine Tochter in der Luxuslimousine ab, gab Unmengen für Kleider und Schuhe aus. Verständnis für die Gefühle eines Kindes war dagegen völlig unwichtig. So entsteht das Bild einer eisigen, von Krieg und NS-Zeit emotional verkrüppelten Elterngeneration. Die einzige Ausnahme, die einzige positiv geschilderte Figur ist bei Anja Röhl: Ulrike Meinhof.

Brutale Eskalation

Der intellektuelle Kopf der ersten RAF-Generation als Sympathieträgerin - das entspricht nicht der in der bundesdeutschen Geschichtsschreibung herrschenden Meinung, gemäß der Ulrike Meinhof Täterin und Terror-Vordenkerin war, oder zumindest "autoritär, elitär, humorlos", wie in Butz Peters' Buch "Tödlicher Irrtum".
Bei Anja Röhl ist die RAF nur im Hintergrund präsent. Hier geht es um Meinhof als die einzige Erwachsene, die sich für das Mädchen Anja interessiert, mit ihr spielt, ihr alles erklärt, sie versteht und derart viel Geduld aufbringt, dass Klaus Rainer Röhl sie anherrscht: "Du lässt dich von den Kindern tyrannisieren." Die Kinder, das sind auch Anjas Halbschwestern Regina und Bettina, die ihre Sicht auf ihre Eltern bereits öffentlich gemacht hat. Die sie betreffenden Passagen sind im Buch geschwärzt - Ergebnis einer juristischen Auseinandersetzung, die dem Buch einen Anschein von Skandal verleiht.

Ein Skandalbuch ist "Die Frau meines Vaters" deshalb nicht. Anja Röhls Tonfall ist leise, ihr Stil klar, auf eine literarisch stilisierte Weise fast kindlich. Sie beschränkt sich auf eine Darstellung der Ereignisse aus ihrer Sicht, verzichtet auf schrille Anklage oder Überhöhung - und zeigt, wie Meinhofs Opposition gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse in der jungen Bundesrepublik, die mit der RAF so brutal eskalierte, mit kleinen, feinfühligen Gesten begann: zum Beispiel, indem sie ein Kind anlächelte.


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