„Nur Journalist“, so wollte er genannt werden. Rolf Michaelis war weit mehr als das. Zum Tode des Literatur- und Theaterkritikers.
Zu beklagen ist der Tod von Rolf Michaelis. Er hätte, wäre er demnächst achtzig geworden, lesen können, wie und wie sehr er sich in unsere Erinnerung und Dankbarkeit geschrieben hat. Er war und nannte sich zeitlebens „nur Journalist“. Aber dem „nur“ gab er Glanz und Wert. Er betrieb das fordernde Tagesgeschäft und sah doch weiter auf das, was blieb, dauerte. Was die Poesie betrifft, ging sein Blick bis in die Ewigkeit. Er ging gern umher in fremden Werken und Zeiten und beherrschte doch die schnelle Rückkehr in den zu lebenden Augenblick, der ihn elektrisierte und belebte. Er lebte im Schreiben.
Als er im August 1933 geboren wurde, wurde in Deutschland nicht nur die Bildung ausgewechselt. Als er zwölf war, war alles vorbei und ruiniert: Mit zwanzig durfte er wieder in die Welt und erfuhr doch bei den Hölderlin-Studien im Tübinger Seminar die heimische Enge in der Weite der Poesie. Der neugierige, arbeitsfrohe Student promovierte zweimal, in der Universität über Hölderlins Oden, und privat, als er sich dem Spätwerk Gerhart Hauptmanns zuwandte, den „Schwarzen Zeus“ schrieb, den Dichter vom Ruf des Naturalisten befreiend und, da er nichts davon auf der Bühne sehen konnte, sich ein Theater erdichtend, das bald sein Metier werden sollte. In der Pflanzschule des Nachkriegsfeuilletons, in der „Stuttgarter Zeitung“, wuchsen junge Talente heran, die, unter Siegfried Melchingers Führung, bald begehrte Schreiber, Beobachter, Erklärer und Deuter wurden.
Berlin-Korrespondent im Jahr 1968
Rolf Michaelis lernte hier sehend und reflektierend Theater. Er übte sich ein in die Betrachtung der neuen Literatur und fand sich bald als beachteten Schreiber jener neuen Generation, die neugierig nach rückwärts und vorsichtig nach vorne schaute. Zehn Jahre, sagt man, braucht man, um sich durchzusetzen: Rolf Michaelis wurde schon nach sechs Jahren aus Stuttgart nach Frankfurt gerufen. In dieser Zeitung übernahm er das von Friedrich Sieburg verwaltete Literaturressort. Die harte Arbeit erschien bei ihm immer leicht, der Bursche hatte Charme und Humor; knäuelnden Ingrimm konnte er gut verbergen. Machtgebärden in dem Amt waren ihm fremd, Ehrgeiz erschien als Freude am Schreiben.
Als die Literatur 1968 totgesagt wurde, ging Michaelis nach Berlin, war jetzt Korrespondent auf dem prekären Platz, Unruhe täglich, Mutation der Künste, neue Köpfe im Ring der laufenden Ereignisse. Alles, was Rolf Michaelis schrieb, hatte Anschaulichkeit, Beobachtung, eine anmutige Leichtigkeit auch noch in den Deutungen. Er war eloquent und argumentativ in Debatten. Wenn um die Auswahl der Stücke fürs Theatertreffen zu kämpfen war, er war dabei; später kämpften wir zusammen in der Kleist-Gesellschaft für den Kleist-Preis für Einar Schleef - vergeblich. Aber Michaelis war da für seine erkannte Wahrheit, gegen die konservativen Mauern. Journalisten sind in Vergeblichkeit geübt, jeder Tag ist für sie ein neuer Anfang.
Als in dieser Zeitung sich 1973 personale Verschiebungen andeuteten, ging er zur „Zeit“. Sprünge dieser Art bestätigten, wovon hier die Rede ist: von einem wachen, gebildeten Geist mit beseeltem Temperament. Marcel Reich-Ranicki hatte Hamburg gegen Frankfurt getauscht, zwei Literatur-Feuilletons gerieten gegeneinander. Dreizehn Jahre war Rolf Michaelis in Hamburg Chef der Literatur. Seine Buchmesse-Beilagen waren jedes Jahr Musterstücke des gebildeten Journalismus, des literarischen Vergnügens, der triftigen Auswahl, der treffenden Wertungen. Michaelis war als Schreiber einer unter anderen, keine Starallüren, kein Meinungsdruck, kein Urteilsschema waren auszumachen. Entschiedenheit immer wieder.
Rolf Michaelis war nie langweilig. Er brachte keine Exegesen, er zupfte Klug- und Schönheiten aus Texten, um Lust aufs Lesen zu machen. Kritiken sollten nicht die Buchlektüre ersetzen. Er schrieb über die große Treppe in Schwäbisch Hall so wie über das Kleist-Museum in Frankfurt/Oder oder die Franckeschen Stiftungen und Reisen in die Welt. Gegen Ende des Lebens publizierte er noch seine große Sammlung von Liebesgedichten aus vielen Ländern. Ein Liebender war er immer, weil er gern lebte. Wer liebt, verbrennt nicht. Er schrieb viel gegen die Verbrenner. So durchwirkte das Verbrechen in den Tagen seiner Geburt dieses bewegte Leben bis in den Tod.
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