Samstag, 6. April 2013

+++"DER KLEINE PRINZ", oder das "Märchen für alle" wird 70 Jahre+++


Wer soll das lesen? 1943 erschien "Der kleine Prinz" und hinterließ die Kritiker ratlos: Zu kindlich für Erwachsene und zu erwachsen für Kinder, befanden sie. Heute gehört das Märchen zu den meistverkauften Büchern überhaupt. Seinen Erfolg verdankt es einer Kritzelei - und einem mysteriösen Tod. 

Von allein wäre Antoine Saint Exupéry nie auf die Idee gekommen, ein Kinderbuch zu schreiben. Es war sein New Yorker Verleger Curtice Hitchcock, der den entscheidenden Impuls gab. Die beiden hatten sich im Frühjahr 1942 in einem New Yorker Restaurant zum Mittagessen getroffen. Wie so oft kritzelte Saint Exupéry während des Gesprächs auf seiner Serviette herum. Neugierig beobachtete Hitchcock wie die Zeichnung Strich für Strich Gestalt annahm und ein kleiner Junge zum Vorschein kam. Er war so entzückt von der kleinen Figur, dass er Saint Exupéry spontan vorschlug, daraus eine Märchengeschichte zu machen. 

So wird die Entstehungsgeschichte des kleinen Prinzen immer wieder gern erzählt. In einer anderen Version war es die Ehefrau von Hitchcocks Partner Eugene Reynal, die sich für den kleinen Jungen begeisterte, den Saint Exupery gern als kleinen "Kumpel, den ich in meinem Herzen mit mir herumtrage" bezeichnete und bei unterschiedlichsten Gelegenheiten auf Briefränder, Servietten oder Schmierzettel kritzelte. 

Egal von wem die Idee kam: Saint Exupéry machte sich kurz darauf an die Arbeit. Ein Jahr später, am 6. April 1943 erschien in New York unter dem Titel "Der kleine Prinz" die eigenwillige Geschichte von dem kleinen, blonden Lockenkopf, der wegen eines Streits mit einer Blume seine Heimat verlässt, um die Welt zu erkunden. Und es wurde weit mehr als eine weitere Märchengeschichte. Saint Exupéry hatte ein Jahrhundertwerk geschrieben, das inzwischen über 80 Millionen Mal verkauft worden ist. Doch das ahnte 1943 niemand. Im Gegenteil: Für einen Bestseller-Autor wie Saint-Exupéry lief der Verkauf eher schleppend. 

Zu erwachsen für Kinder 

Im Herbst 1943 waren gerade einmal 30.000 Exemplare über den Ladentisch gegangen. Mit Mühe hielt sich der Titel eine Woche auf der Bestseller-Liste der New York Times und zwei Wochen auf der des Harald Tribune. Ende 1943 schien es, als würde "Der kleine Prinz" bald in Vergessenheit geraten und mit ihm heute so berühmte Zitate wie: "Wörter sind die Quelle aller Missverständnisse" oder "Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." 

Dass das Buch nur begrenzt Anklang fand, hatte seinen Grund. Es passte so gar nicht zum Image des raubeinigen, tiefsinnigen Piloten, der auch schreiben konnte. Saint-Exupéry, der 1940 in den USA Zuflucht vor den deutschen Besatzern in Frankreich gesucht hatte, war für seine philosophischen Abenteuerberichte berühmt, in denen er seine Erlebnisse als Berufspilot in Afrika, Europa und Südamerika verarbeitete und über das menschliche Dasein sinnierte. Reynal & Hitchcock hatte 1942 seinen letzten Bericht "Flug nach Arras" mit großem Erfolg in den USA herausgebracht und hunderttausendfach verkauft. Und nun ein Märchen? 

Der Verlag Reynals & Hitchcock hatte bereits geahnt, dass das Publikum sich damit schwer tun würde und steuerte mit Humor gegen. In der Werbung zum Buch hieß es: "Die Kritiker werden einen Heidenspaß haben, Ihnen zu erklären, was für ein Buch das ist. Was uns angeht: Es ist das neue Buch von Antoine Saint-Exupéry." Doch selbst die Kritiker fanden nicht heraus, was genau sie da gelesen hatten. Sie lobten den Text und die Sprache. Für ein Erwachsenenbuch war es ihnen aber zu kindlich. Für ein Kinderbuch zu erwachsen. "Werden Saint Exupérys philosophischen Passagen Kinder in ihren Bann schlagen? Ich glaube eher sie werden auf blankes Unverständnis stoßen", kritisierte zum Beispiel die "New York Times". Wer also sollte es lesen? 

Das Lebensgefühl des Saint Exupéry 

Der Durchbruch kam erst Jahre später und hing eng mit Saint Exupérys tragischem Tod zusammen. Noch bevor "Der kleine Prinz" erschien, hatte Saint Exupery die USA verlassen, ließ sich in Algerien nieder und machte von hier aus noch einige Aufklärungsflüge für die französische Luftwaffe. Von einem dieser Flüge am 31. Juli 1944 kehrte er nicht wieder zurück. "Der kleine Prinz" ist sein letztes vollendetes Werk - und sollte bald als Plädoyer für Freundschaft und Menschlichkeit in Erinnerung bleiben. 

Zwei Jahre später veröffentlichte Saint Exupérys Pariser Verlag Gallimard eine leicht abgeänderte Fassung des kleinen Prinzen. Angesichts Saint Exupérys Schicksals war es auf einmal nicht mehr dasselbe Buch. Plötzlich haftete ihm etwas Mystisches an, weil es schien, als habe es den Tod Saint Exupérys vorweg genommen. Den Lesern wurden nun bewusst, das die Geschichte nur allzu deutlich widerspiegelte, wie einsam, krank und traurig Saint Exupéry im amerikanischen Exil gewesen sein musste und wie sehr er an den von Macht, Habgier und Bosheit geblendeten Menschen, die der kleine Prinz mit seinen Weisheiten kritisiert, verzweifelte. Über Jahrzehnte hielt sich das Gerücht, er sei freiwillig in den Tod geflogen. Bis heute ist die Absturzursache nicht abschließend geklärt. 

Wie sehr dieses wunderbar seltsame Märchen die Menschen damals berührte, brachte die Buchhändlerin, Verlegerin und Journalistin Adrienne Monnier zum Ausdruck. Sie hatte als erste das schriftstellerische Talent Saint Exupérys erkannt und 1926 seine erste Geschichte in ihrem Magazin "Navire d’Argent" veröffentlicht und berichtete später, sie habe sich durch das Buch geweint. Nicht weil die Geschichte so traurig war, sondern weil Saint Exupéry so viel von sich selbst hinein gelegt habe. Sie weinte um ihn. Monnier steht, wie die Saint-Exupéry-Biografin Stacy Schiff es formulierte, für Hunderttausende, denen es genauso erging. Bis heute schlägt das Lebensgefühl des Saint Exupéry die Menschen in seinen Bann. "Der kleine Prinz" zählt noch immer zu den zwanzig meistgelesenen Büchern der Welt.


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