Montag, 18. März 2013

+++GESCHLOSSENE ELITEN, oder Willkommen im Club+++

Lange galten sie in Deutschland als elitär. Heute wollen selbst coole Kreative Mitglied sein. 

Clubs also. Stuckdecke, holzgetäfelte Wände, Ohrensessel, Diskretion und nebenbei das ganz große Geschäft. Man kennt das ja aus Filmen und von Besuchen in England und Amerika, den Ländern mit einer Club-Kultur schlechthin. Und Deutschland? Wer hier früher Club sagte, meinte Disko oder Fußball, im Osten auch Zigaretten.

Doch dann, um die Jahrtausendwende, schossen in Berlin Mitgliederclubs wie Pilze aus dem Boden, und Traditionsclubs bekamen auf einmal auch wieder Zulauf, Übersee in Hamburg etwa, oder Düsseldorfer Industrie. Heute sind manche Wartelisten so lang wie die Hilferufe im Internet verzweifelt: Wer bringt mich da rein? Jemand, den das alles nicht wundert, ist Michael Hartmann von der Technischen Universität Darmstadt.

Abgrenzungsbedürfnis wächst

Der Soziologe erforscht seit Jahrzehnten Deutschlands Eliten, und sein Befund ist eindeutig: Geschlossene, elitäre Kreise erleben eine Renaissance. „Es geht dort natürlich um Geschäftskontakte, aber gerade auch in den Traditionshäusern um die Erwartung, ein bürgerliches Ambiente neu zu beleben.“ Im Gegensatz zum Ausland, wo Grand Bourgeoisie und Upper Class sich seit jeher unter ihresgleichen treffen, wurde die Clubkultur in Deutschland nach den Weltkriegen jäh unterbrochen. In der heutigen Zeit aber wachse auch hier das Abgrenzungsbedürfnis: Wir hier drinnen, ihr da draußen.

Aber wie sieht es innen eigentlich aus? Anruf im Düsseldorfer Industrieclub, seit kurzem hundert Jahre alt und vielleicht die Club-Institution in Deutschland. „Schicken Sie doch bitte eine E-Mail“, heißt es. Tags darauf ruft Geschäftsführerin Heidi Schädlich zurück, sie ist freundlich, aber nicht sonderlich begeistert. Zu viel Aufmerksamkeit wolle man nicht.

Konferenzzimmer des Ruhrpotts: Im Düsseldorfer Industrieclub ist der Herrenschuh noch poliert
Aber gut, sie werde sich die Sache überlegen. Nächster Versuch, im Soho-House Berlin, Deutschlands jüngstem Club, der vor gut zwei Jahren seine Türen öffnete. Die Antwort kommt schnell, aus der Clubzentrale in London und per du („Hi Stefan“). Ein Besuch sei kein Problem, die Bedingungen: Keine Mitgliedsnamen, keine Fotos. Thank you so much.

Schneller Termin also in Berlin. Ein unscheinbares Schild am Eingang, in der Lobby Ledersofas, Kronleuchter, Sichtbeton. „Hi, how are you today?“, erkundigt sich die Garderobiere. Ihr gegenüber hängt ein Hai-Bild, Damian Hirst, der angeblich Kunst macht, hat es am Eröffnungsabend auf den Bauzaun gemalt. Na ja. Das Haus ist eine permanente Baustelle, aber hey, that’s Berlin.

„Andere Art von Zugehörigkeit“

Im Keller befinden sich Sauna, Spa und Kino, im ersten Stock schwitzen junge Menschen auf Hantelbänken und Laufbändern, darüber liegen vier Etagen Hotel, das auch Nichtmitgliedern offensteht. Zimmer im englischen Stil mit freistehender Badewanne, Gummiente auf dem Rand. Das Gebäude ist ein Art Haus der Geschichte: Früher residierte hier Wilhelm Pieck, erster Präsident der DDR, danach zog das Institut für Marxismus-Leninismus ein.

Ganz früher war es Zentrale der Hitlerjugend und davor Kaufhaus eines jüdischen Unternehmers. Heute will der Club an Ort und Stelle „eine entspannte Atmosphäre für kreative Leute“ bieten. „Es geht um eine neue und andere Art von Zugehörigkeit“, sagt Heide Prött, Sprecherin des Hauses. Gut 3.500 Mitglieder habe man derzeit, Frauen und Männer etwa gleich verteilt, Durchschnittsalter Mitte 30. Die Jahresmitgliedschaft kostet 900 Euro; wer jünger als 27 Jahre ist, zahlt die Hälfte. Die Warteliste ist inzwischen länger als die Schlangen vor dem Berghain. Aber warum?

„Well“, sagt Sharmaine Lovegrove, die 31-Jährige ist Literaturagentin mit eigenem Buchladen in Kreuzberg und praktisch im Club zu Hause. In London, woher sie stammt, war sie schon mit 21 Jahren Mitglied in ihrem ersten Club für Verlags-Leute. Sehr hilfreich und sehr üblich, allerdings auch sehr altmodisch: „mit Kerzen, schweren Teppichen und Georg-IV-Möbeln“.

Kein Club für Leute mit viel Geld

In Berlin war sie clubtechnisch dann kurz orientierungslos, bis Soho-House eröffnete. „Das macht das Leben wirklich einfacher.“ Der Club biete ihr die Atmosphäre, die sie für Kundenkontakte brauche. Bars und Restaurants seien zu anonym und in Berlin oft voller Kellner, die nicht arbeiten wollten. „Es geht immer nur um sie und nicht um mich als Gast.“ Eine Umgebung, die sie ihren Geschäftspartnern nicht zumuten wolle.

Um Elite gehe es ihr aber nicht, im Gegenteil: Soho-House sei kein Club für Banker oder Leute mit viel Geld, da würde sie sich unwohl fühlen. Sie komme auch mit der Oma und ihrem 15 Monate alten Sohn her - um zu essen, zu lesen, zu arbeiten, zum Saunieren, Trainieren, um sich die Nägel machen zu lassen, manchmal sogar zum Schlafen. Etwa 200 Leute kenne sie persönlich, nicht alle seien ihre Freunde, aber höflich. „Wenn’s den Club nicht gäbe, ich würde ihn erfinden.“

Im Soho-House trifft sich die Mitte-Medien-Boheme; die gerne mit einem Drink am Pool auf der Dachterrasse steht und über das Zentrum blickt. Und sich vom Rest der Menschheit da unten distinguiert. Zielgruppe sei die Kreativbranche, sagt Prött. Ärzte, Anwälte und Banker haben es schwerer, aufgenommen zu werden, doch aussichtslos sei es nicht. Wer rein will, muss einen Fragebogen ausfüllen und zwei Bürgen haben, die schon Mitglied sind; vier Mal im Jahr entscheidet ein geheimes Komitee aus gut 30 Leuten, ob Bewerber die „Soho-House-DNA“ haben.

Dresscode ist eine „Riesengrauzone“

Die scheint auch das Aussehen zu prägen. Zwei Mittzwanziger mit Wollmütze, Turnschuhen und Hemden über der Hose laufen zu ihren Mac-Books auf den Couchtischen. „Na ja“, sagt Lovegrove, die Schal und eine elegante Bluse trägt. „Lieber ein paar mehr hippe Kreuzberger als reiche Russen aus Charlottenburg.“ Letztere sind hier nicht zu sehen, falsche DNA vermutlich. Dafür werden alle Mitglieder geduzt.

Das mit dem Dresscode sei allerdings eine „Riesengrauzone“, sagt Prött. „Jan Delay zum Beispiel würden wir nie bitten, seinen Anzug auszuziehen.“ Die Krawatte ablegen müsste der Sänger schon, die No-Tie-Policy gilt im gesamten Haus. Man sehe das zwar „nicht so zeigefingermäßig“. Doch in London haben auch schon Mitglieder Clubverbot erhalten, weil sie notorisch die Krawatte anbehielten. Ein Verstoß gegen das Gebot der Lockerheit, hieß es etwas unlocker. Als schwere Verstöße gelten: Rauchen, Telefonieren, Fotografieren.

Dafür scheint die Toleranz an anderer Stelle schier grenzenlos. An einem Tisch spielt eine Familie Monopoly, im Regal dahinter liegen Holz-Bauklötze, Domino und Halma-Spiele. Im Restaurant werden Cheeseburger, Graupen und Makrele serviert. Die Mehrzahl der Anwesenden fläzt sich auf schweren Samtsofas, am Tisch gegenüber will ein Kind nicht essen und rennt mit dem Messer im Anschlag davon. „Jetzt ist Schluss!“, brüllt ein Mann, wohl der Vater, und holt den Kleinen zurück. Er weint. Es scheint niemanden zu stören, die meisten gucken ohnehin auf ihre iPads und iPhones. Zum ersten Geburtstag des Clubs gab es Luftballons, Zuckerwatte und Daiquiries in Babyflaschen.

Frauen seit 1977 zugelassen

Mit diesen Gedanken geht es nach Düsseldorf, in den Industrieclub. Wir wurden nämlich doch noch eingeladen. Der Eingang liegt in einer Seitenstraße, das Foyer ist hell und modern, der Concierge vom alten Stil. „Darf ich Ihnen Ihren Mantel abnehmen?“ Am Empfang liegen das Club-Buch „Treffpunkt der Eliten“ zum Kauf aus und die Hitler-Rede von 1932, wissenschaftlich editiert. Signal: Hier wird nichts verschwiegen; zum Jahrestag gibt es trotzdem noch immer Proteste vor der Tür.

Ein Saal im Erdgeschoss, ein modernes Restaurant, eine neue Bibliothek und Bar im ersten Stock, in der Etage darüber liegen Clubzimmer, die wie ihre Sponsoren heißen: Eon, Haniel, Henkel. Sie sehen auch so aus, letzteres ist blütenweiß möbliert. Hier oben gibt es noch die Dinge aus der guten alten Zeit, die knarrende Holztreppe, den hochflorigen Teppich, getäfelte Wände, einen Raum mit Porträts von Bismarck und Adelheid von Preußen, eine Telefonkabine und eine Toilette nur für Männer; das Haus war einst ein reiner Herrenclub.

Im Gegensatz zu anderen Clubs sind Frauen im Industrieclub seit 1977 zugelassen und stellen heute fünf Prozent der Mitglieder, betont Geschäftsführerin Schädlich, die „Diplom-Kaufmann“ auf ihrer Visitenkarte stehen hat. Der Club, 1912 von vermögenden, einflussreichen Industriellen und Bürgern zur Abrundung eines gehobenen Lebensgefühls gegründet, wurde bald zum „Konferenzzimmer des Ruhrgebiets“.

Geselligkeit und Genuss

Neueste Neuigkeiten gab es hier - aus Regierung, der Wissenschaft oder von der Front. Das sei im Grunde auch heute so, sagt Vorsitzender Joachim Scheele. „Wir wollen möglichst aus Originalquellen hören, was los ist in der Welt, und damit Fakten liefern, um Offenheit, Toleranz, Verantwortung zu fördern.“ Und es sich nebenbei auch gutgehen lassen; Geselligkeit und Genuss gehören zu den obersten Clubregeln, auf der Speisekarte steht neben Grünkohl, Rehrücken und Entenleber auch Hummer.

Genscher, Merkel und Gorbatschow waren hier, im vergangenen Jahr Japans Botschafter Takeshi Nakane, Verfassungsrichter Udo Di Fabio und Gerhard Cromme, damals noch Chef von Thyssen-Krupp. Wer im Club spricht, tut das unentgeltlich, nicht mal Peer Steinbrück hat ein Honorar verlangt. Der Club setzt auf Understatement. Scheele, Typ verschmitzter Senior, 70 Jahre alt und seit 30 Jahren dabei, findet es „schön, unter Leuten zu sein, die in ihrem Umfeld etwas gelten, sich deshalb aber nicht aufblasen“.

Ob das Elite sei, darüber könne man streiten. „Unsere Gastredner sind auf jeden Fall Elite; ob wir es selbst sind, das sollen andere entscheiden.“ Elite sei für ihn, wer sich verantwortungsvoll für das Gemeinwesen engagiere, der Mittelständler etwa, der in der Krise nicht gleich Mitarbeiter feuere. Ob das die Berater im Club auch so sehen? Offen ist der Club für alle, die gewisse Qualifikationen mitbringen und sich ordentlich anziehen.

Krawatte ist ein Muss

Eine Krawatte ist ein Muss, eine außerordentliche Karriere sehr von Vorteil. „Wir nehmen Menschen auf, mit denen man gut diskutieren kann, die interessant, nicht fanatisch oder extrem, sondern einfach gut sind“, erklärt Scheele. Geld sei kein Kriterium, der Jahresbeitrag ist günstiger als im Soho-House, er liegt bei 450 Euro, Senioren zahlen die Hälfte. Kandidaten werden sehr genau geprüft, Vorschläge dürfen nur Club-Mitglieder machen, drei weitere langjährige Mitglieder müssen bürgen.

Es gibt ein Gespräch mit der Geschäftsführerin, dann entscheidet der Vorstand; Aufnahmen kosten 1.000 Euro, Absagen sind endgültig, Rauswürfe nicht ausgeschlossen. Wer prahlt, offensiv für sein Geschäft wirbt oder sich danebenbenimmt, muss gehen. 1.200 Mitglieder haben sich derzeit für den Club qualifiziert, die Zahl ist nicht in Stein gemeißelt, soll aber auch nicht überschritten werden; im letzten Jahrzehnt hatte das Haus enormen Zulauf.

Die Stahlbarone sind zwar weg, aber der Club ist eine attraktive Marke geworden, der viele angehören wollen. Knapp die Hälfte seiner Mitglieder sind heute Unternehmer, Chefs und leitende Angestellte, gut ein Fünftel Anwälte, Steuer- und Unternehmensberater. Im Durchschnitt sind sie 61 Jahre alt, gut ein Viertel ist 70 und älter, obwohl eine Aufnahmesperre für über 60-Jährige existiert.

Vier Prozent sind unter 40

„Wir brauchen junge Mitglieder“, sagt Joachim Scheele, idealerweise Leute wie Caspar Brockhaus, gerade 29 Jahre alt, blütenweißes Hemd, perfekt sitzender Anzug, passende Krawatte, und seit kurzem das Club-Küken; er ist der Einzige hier unter 30 und zählt zu den vier Prozent der Unter-40-Jährigen. Brockhaus ist Chef eines Stahlbearbeitungs- und Anlagenbauers im Sauerland und hat bei einem seiner ersten Jour Fixe gleich mal vor Clubmitgliedern den Generationswechsel in seinem Familienunternehmen erläutert, pünktlich von 12:30 bis 14 Uhr, danach gingen alle wieder an die Arbeit.

„Das Altehrwürdige hat schon seinen Reiz“, sagt Brockhaus, noch sei der Club nicht sein sozialer Mittelpunkt. „Er könnte es mal werden.“ Vorerst ist er vor allem für Geschäftliches hier, um sich mit Geschäftspartnern zu treffen, die nicht erst bis ins Sauerland reisen wollen, mit Kunden zu Mittag zu essen, um Neues zu erfahren. „Ich höre hier Meinungen und Ansichten, die mich weiterbringen.“ Einige von Brockhaus’ ehemaligen Kommilitonen sind Mitglied bei Soho, er war auch schon mal drin, in London und New York. „Das ist natürlich sehr viel informeller“, sagt er. „Einen Geburtstag würde ich wahrscheinlich eher dort feiern, aber für Verhandlungen da niemals hingehen.“

Ob die Clubs auf Dauer attraktiv sein werden, bezweifelt Soziologe Hartmann. Der klassische Zweck, eine Region zu verbinden, verliere in Zeiten der Globalisierung an Bedeutung. Einen Konkurrenzvorteil böten Clubs ihren Mitgliedern allemal. „Wer drin ist, begreift sich in der Regel auch als Elite, egal, ob man sich seinen Ruf selbst erarbeitet oder nur geerbt hat“, sagt Hartmann. Für viele sei die Mitgliedschaft deshalb heute wie der Stempel einer renommierten Hochschule. Sie zu haben mache den Unterschied.


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