Das Problem vieler Literaturverfilmungen ist, dass der Leser oft enttäuscht zurückbleibt. Egal wie akkurat der Drehbuchautor die Vorlage umsetzt, wie einfallsreich der Regisseur ist oder wie toll die Schauspieler sein mögen - oft heißt es hinterher: Das habe ich mir anders vorgestellt.
Ganz sicher wird das die Reaktion vieler Zuschauer auf die ZDF-Verfilmung von Ferdinand von Schirachs Bestseller "Verbrechen" sein. Und das ist gut so. Denn die sechs Filme sind zwar im Stil deutlich anders geraten als die Vorlage, das Resultat ist jedoch alles andere als enttäuschend. Der Zuschauer dürfte eher staunen, was man aus den Erzählungen des Anwalts alles rausholen kann. Vielleicht handelt es sich gerade deshalb um die bestmögliche Umsetzung dieses Stoffs.
Lakonisch und knapp
Die besten Geschichten, sagt der Volksmund, schreibt das Leben. Und kaum einer versteht dieses Handwerk so gut wie der gelernte Strafverteidiger von Schirach, der auf 200 Seiten elf Geschichten erzählt, die er so ähnlich in seinem Berufsleben erlebt hat. Er braucht nur wenige Seiten, um die großen Dramen der menschlichen Existenz aufleben zu lassen. Von Schirach schafft das mit einem kompakten, lakonischen Stil, der bei allen Verknappungen und Aussparungen ein lebendiges Bild der Menschen zeichnet, die sich verschuldet oder unverschuldet strafbar gemacht haben.
Seine erste Erzählung, "Fähner", geht über einen grundanständigen Arzt, der nach knapp 50 Ehejahren eines morgens seine Frau brutal mit der Axt erschlägt. "Über Fähners Leben hätte es eigentlich nichts zu erzählen gegeben. Bis auf die Sache mit Ingrid", schreibt der Autor knapp über den entscheidenden Punkt im Leben des Mediziners.
Eine solche Lakonie lässt sich nicht so einfach in ein anderes Medium übertragen. Produzent Oliver Berben, der die Erzählungen zusammen mit Jan Ehlert und den Autoren Jobst Oetzmann, Nina Grosse und André Georgi fürs Fernsehen verfilm hat, versucht es gar nicht erst - sondern geht einen eigenen Weg. In der ZDF-Version erscheinen die Geschichten geradezu poppig, voller greller Effekte: mit eingefrorenen Bildern, grellen Farbspielen, viel Musik und manchmal sogar Tarantino-haften Schnitten.
Hochkarätige Schauspieler
Das mag auf den ersten Blick nicht gerade im Sinne des Autors gewesen sein. Schirach selbst hätte die Story ganz anders umgesetzt, wie er dem stern TV Magazin sagt: "Keine Musik, nur schwarz-weiße Bilder, kaum Dialoge, kaum Schnitte, wenig Bewegung, keine Effekte, alles langsam und dunkel."
Dass es auch ganz anders geht - und prächtig funktioniert, spricht für die großartige literarische Vorlage. Es spricht aber auch für den Mut und die Kreativität der Produzenten, die für den Sechsteiler hochkarätige Schauspieler gewinnen konnten: Josef Bierbichler spielt den Anwalt Friedrich Leonhardt. Edgar Selge (alt) und Fabian Busch (jung) teilen sich die Rolle des Axtmörders Fähner, in der zweiten Folge "Tanatas Teeschale" sind unter anderem Denis Moschitto und Adam Bousdoukos am Start.
Der Sendeplatz am Sonntagabend um 22 Uhr, wo das ZDF dem Zuschauer sonst harte Polizeifilme bietet, sollte nicht verwirren: Bei "Verbrechen" handelt es sich um keine Krimis, Polizisten kommen hier nur am Rande vor. Im Zentrum steht der zum Täter gewordene Mensch, es geht um die Frage, was gut und was böse ist, wann jemand schuldig wird - und wie die Gesellschaft damit umgehen soll. Im Grunde sind es philosophische Fragen, nur unterhaltsam aufbereitet. Und das im deutschen Fernsehen - ein echter Glücksfall.
Bekanntes neu entdecken
Soll man sich die Filme ansehen, wenn man das Buch schon kennt? Unbedingt! Hier kann man die Erzählungen ganz neu entdecken. Das gilt auch umgekehrt: Wer die Filme gesehen hat, wird an dem lakonischen Sound Schirachs im Erzählungsband viel Freude finden.
In jedem Fall gilt: "Verbrechen" lohnt sich.
Das ZDF zeigt an den kommenden drei Sonntagen jeweils zwei 45-minütige Folgen von "Verbrechen". Am 7., 14. und 21. April ab 22 Uhr.
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