Es ist ein historischer Moment: Die erste Begegnung von zwei Päpsten in 2000 Jahren Kirchengeschichte. Und es ist zugleich ein rührendes Treffen. Papst Franziskus (76) hat seinen Vorgänger Benedikt XVI. (85) in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo besucht.
Seite an Seite beteten die beiden in derselben Kirchenbank. Benedikt XVI. ging am Stock, wirkte aber robust und persönlich bewegt. Mehrfach hielten sich die beiden an der Hand. Angesichts dieser Bilder gehen Beobachter schon jetzt davon aus, dass sich diese beiden künftigen „Nachbarn" im Vatikan noch häufiger sehen werden, wenngleich unter Ausschluss von Kameras und Welt-Öffentlichkeit.
Franziskus und Benedikt XVI. kamen gegen Mittag zusammen. Franziskus war mit dem Hubschrauber von Rom die kurze Strecke (25 Kilometer) geflogen. Sein Vorgänger wartete schon am Hubschrauber-Landeplatz. Man umarmte sich zur Begrüßung.
Die beiden Päpste wirkten auf den ersten Blick sehr ähnlich gekleidet. Einziger Unterschied: Franziskus trug zusätzlich zur weißen Alltags-Soutane den typischen weißen Schulterumhang („Mozetta“) und das Zingulum, ein breites weißes Band. Benedikt hatte zunächst eine weiße gefütterte Jacke übergezogen. Er trägt nicht mehr die auffälligen roten Papst-Schuhe.
Bevor sie sich zum Vier-Augen-Gespräch in die Bibliothek zurückzogen, beteten die beiden Seite an Seite kniend in der Privatkapelle.
Vatikan-Pressesprecher Federico Lombardi: „In der Kapelle hat der emeritierte Papst Benedikt dem Papst Franziskus den Ehrenplatz angeboten, doch dieser sagte: ,Wir sind Brüder‘ und wollte, dass sich beide in derselben Bank niederknien."
Franziskus, glühender Verehrer der Gottesmutter wie Benedikt, hat seinem Vorgänger auch ein Geschenk mitgebracht, eine Marienikone, die „Madonna der Demut“. Franziskus habe damit die vielen Beispiele der Demut gewürdigt, die Benedikt XVI. im Laufe seines Pontifikates gegeben habe, sagte Lombardi.
Mehrere hundert Menschen hatten vor dem Eingang zur Sommerresidenz gewartet. Viele Gläubige hofften vergeblich auf spontane Grußworte, auch alle großen Fernsehsender waren vertreten. Gegen 14.45 Uhr verließ Franziskus die päpstliche Sommerresidenz, flog zurück nach Rom.
Wieder einmal blickte die Welt heute auf das kleine Örtchen Castel Gandolfo in den Albaner Bergen, 25 Kilometer vor Rom, wo sich der emeritierte Papst Benedikt XVI. seit seinem Rückzug am 28. Februar aufhält.
Wenig dringt nach draußen von dem, was er dort tut. Man hört, dass er wieder mit dem Klavierspielen angefangen hat. Dass er seinen Bruder für die Woche nach Ostern eingeladen hat. Und dass sein Frisör vor Kurzem mal wieder gesichtet worden ist.
So nebensächlich die Frage, wer dem Papst die Haare schneidet, auf den ersten Blick scheint: Die Frage, wer der einzige Mensch sein wird, den die Schweizergarde mit einer scharfen Schere an ihn heranlässt, muss auch noch Franziskus beantworten.
„Alltagsratschläge“ wie diese könnten die beiden erörtert haben, nachdem die handverlesenen Fotografen und die dreiköpfige Video-Crew (nur Vatikan-Medien zugelassen) den Ort des als „privat“ deklarierten Treffens verlassen haben.
Sicher wird der 300-seitige Geheimbericht über Hintergründe und Hintermänner der Vatileaks-Affäre, die Benedikt XVI. seinem Nachfolger hinterlassen hat eine Rolle gespielt haben. Widersprüchliche Angaben gibt es zur Existenz eines angeblich persönlich verfassten Memorandums, das Franziskus seine ersten Entscheidungen im Amt erleichtern sollen.
Doch will Franziskus überhaupt auf Ratschläge seines Vorgängers hören? Hat er mit seinen bisherigen Akzenten nicht durchblicken lassen, dass er auf einen völligen Neuanfang – und damit auch auf den Bruch mit der Linie seines Vorgängers – setzt?
Das erscheint auf den zweiten Blick unwahrscheinlich:
► Franziskus hat als neu gewählter Papst auf dem Balkon des Petersdoms als allererstes an seinen Vorgänger erinnert und ihn sofort nach der Wahl angerufen. Er zitiert ihn laufend. Zuletzt am Freitag bei der Ansprache vor Botschaftern, die er – was für vernehmbares Tuscheln sorgte – nicht in der Diplomatiesprache Französisch, sondern auf Italienisch hielt: Der „liebe und verehrte Benedikt XVI.“ habe vor einer „Diktatur des Relativismus“ gewarnt, vor einer geistlichen Verarmung, in der am Ende jeder nur noch sein eigener Maßstab sei.
► Dagegen spricht auch die Vorgeschichte der beiden als „Rivalen“ im Konklave 2005: Der argentinische Kardinal hatte noch im dritten Wahlgang die zweitmeisten Stimme erhalten. Er selbst sei es gewesen, der dann beim Mittagessen signalisiert habe, dass er nicht für die Wahl bereit sei. Vor allem aber, so deuten es Experten, wollte er sich nicht als „Gegen-Ratzinger“ instrumentalisieren lassen, für den er größten Respekt hegte.
Nur durch diesen Schritt kam der Argentinier acht Jahre später als Nachfolger in Frage, wie die Turiner Zeitung „La stampa" heute schreibt. Denn mit den angeblich 100 Stimmen (von 115) im Konklave sei ein Auftrag für Franziskus verknüpft gewesen: die begonnene „Reinigung“ des Kirchenapparates nach Benedikt-Linie zu vollenden, mit jener Kraft, die dieser am Schluss nicht mehr aufbringen konnte. Stichworte: Skandalbank IOR, Vetternwirtschaft und Filz in der Kurie, weitere Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. Das Alltagsgeschäft nach Ostern wird für Franziskus ungemütlich.
Noch etwas gibt es, was für ein eher spannungsfreies Treffen heute sprach: Die Seelenverwandtschaft zwischen Benedikt und Franziskus ist größer, als die Welt es in ihrer ersten Begeisterung für den „Neuen“ erkennen konnte oder wollte.
Auch ein Kardinal Ratzinger spazierte lieber zu Fuß durch sein Rom-Viertel Borgo Pio und nahm den Bus statt die Dienstlimousine, wenn er etwa im heimischen Regensburg das Familiengrab besuchte.
Auch er hatte ein großes Herz für Arme, wie sich speziell nach Naturkatastrophen zeigte, vor allem aber auch bei Notfällen im privaten Bekanntenkreis. Seine nie zur Schau gestellte Demut beeindruckte alle, die ihm persönlich nahe kamen - auch wenn ihm sein Verständnis von Kirchentradition nicht erlaubte, den privaten Stil auf das Papstamt zu übertragen.
Was das Essen anbelangt, ist die Genügsamkeit des Bayern Legende. Noch als Kardinal erklärte er einmal seinen verdatterten Gästen das Essen nach einem Paar Würstchen als beendet.
Damals wie heute, beim historischen Treffen mit seinem Nachfolger gilt: Was bei Tisch gesprochen wird, war und ist für Benedikt XVI. immer wichtiger als das Essen selbst.
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