Liebe Eltern, haben Sie auch schon einmal beobachtet, wie ihr Nachwuchs im Sandkasten jede Menge Förmchen hortet – ohne den anderen Kindern eines abzugeben? Oder in der Kita dem anderen Kind ein Spielzeug entreisst? Glauben Sie mal nicht, dass ihr Sprössling nicht genau weiß, was er da tut – er handelt nämlich bewusst zu seinem Vorteil, davon sind zumindest US-Forscher überzeugt.
Eine aktuelle Studie zeigt, dass bereits Dreijährige die Regeln für das faire Teilen kennen. Sie wenden diese Regeln allerdings oft nicht an. Erst mit etwa sieben Jahren richten Kinder ihr Handeln nach den erkannten Regeln aus, wie amerikanische Psychologen im Fachjournal „Plos One“ berichten. Das würde bedeuten, dass diese Regeln erst mit sieben Jahren für sie so viel Wert bekommen, dass sie dafür den eigenen direkten Vorteil aufgeben.
Viele Eltern sind beunruhigt, wenn sie sehen, dass sich der Nachwuchs anderen gegenüber ungerecht verhält. Denken doch viele sofort, dass die Vermittlung von Werten zu scheitern droht. Doch wie erzieht man ein Kind überhaupt zu einem guten Menschen?
Welche Werte sind wichtig für ein Kind?
Innerhalb der Familie gelten andere Werte als beispielsweise in der Arbeitswelt, in der vor allem Ehrgeiz gefragt ist. Im familiären Miteinander hat diese Eigenschaft allerdings nichts verloren. „Werte, wie zum Beispiel Fairness, Verantwortung, Mitgefühl sind die Grundlage bzw. Voraussetzung, um in einer Gemeinschaft leben zu können bzw. sich bewegen zu können“, sagt Dr. Annette Böttcher, Diplom-Psychologin und Pädagogin aus Wiesbaden. „Aus meiner Sicht hält ein guter Charakter die Balance zwischen dem ICH und dem Gemeinwohl. Er schafft es, das eigene Selbst optimal zu entfalten, ohne das Gemeinwohl zu beeinträchtigen und/oder anderen Menschen absichtlich Schaden zuzufügen.“ Außerdem haben Untersuchungen ergeben, dass Kinder, denen gewisse menschliche Ideale vermittelt werden, glücklicher, optimistischer und belastbarer sind – also im späteren Leben besser mit Krisen und Rückschlägen zurechtkommen.
WERTE, DIE KINDERN HALT UND ORIENTIERUNG GEBEN
Doch kann man diese Werte tatsächlich erlernen? Oder gibt es so etwas wie ein „Moral-Gen“?
Dr. Annette Böttcher: „Generell geht man davon aus, dass Persönlichkeitsmerkmale zu 70 Prozent Vererbung und zu 30 Prozent durch die Umwelt bedingt sind. Bezogen auf die moralische Entwicklung geht man neuerdings davon aus, dass es sogenannte „neuronale Grundlagen“ der Moral gibt, d.h. eine angeborene Bereitschaft zu moralischem Handeln.“
Bis zu einem gewissen Grad sind also Gene dafür verantwortlich, ob ein Mensch gut oder böse, also gütig oder feindselig ist, freundlich oder aggressiv. Aber natürlich spielt die Umwelt bei der Moral-Entwicklung ebenfalls eine entscheidende Rolle. Dazu Dr. Albert Wunsch, Erziehungswissenschaftler und Psychologe: „Allgemeingültige moralische Werte, wie zum Beispiel Fairness und Respekt, sind die Essenz langer Erfahrungen, die auf weit zurückliegende Generationen zurückgehen. Sie werden von Kindern in erster Linie durch das Kopieren von Handlungen in ihrem Umfeld übernommen.“
Eltern nehmen in Entwicklung der Moral eine Schlüsselrolle ein
„Die Eltern spielen dabei die wichtigste Rolle – sie sind Vorbilder. Man kann mit Kindern über Gut und Böse reden, aber viel wichtiger ist es, dass es ihnen vorgelebt wird“, weiß Dr. Albert Wunsch. „Wichtig ist, dass sie ein Vorbild abgeben, das für Kinder nachahmenswert ist. Eltern sollten also immer Entscheidungen begründen, Prinzipien treu bleiben, authentisch sein.“ Wichtig: Es sind vor allem die indirekten Botschaften (Beispiel: Eltern unterhalten sich darüber, wie gut es dem Nachbarn getan hat, dass sie ihm geholfen haben – Kind bekommt es zufällig mit), die von Kindern in Bezug auf das eigene Verhalten verinnerlicht werden – weniger die direkten (Beispiel: „Biete dem Nachbar doch mal deine Hilfe an – darüber wird er sich freuen“).
Was sind „Werte-Killer“ in der Erziehung?
„Indem man genau das Gegenteil von dem macht, was man als Erzieher sagt“, so Dr. Annette Böttcher. „Zum Beispiel das Kind zur Offenheit auffordern, selbst aber schwindeln bzw. nicht offen/ehrlich sein. Auch ein respektloser Umgang mit dem Kind ist ein absolutes No-Go, also kontraproduktiv“, weiß die Expertin.
Welche Strategie können Eltern anwenden, um das eigene Kind zu einem guten Menschen zu machen?
„Empathie ist der Schlüsselbegriff bei der Entwicklung wichtiger Werte, also die Fähigkeit des Hineinversetzens in die Gefühlswelt anderer Menschen. Diese Kompetenz setzt allerdings Kenntnis und Erleben von Emotionen voraus. Es ist sehr wichtig, dass Kinder Emotionen erleben und auch ausleben dürfen. Für Eltern ist es wichtig, dass sie im Dialog mit ihren Kindern Sachverhalte stets mit emotionalen Zuständen verbinden und erklären“, so Dr. Annette Böttcher. Beispiel: Wenn der Sprössling einem anderen Kind etwas wegnimmt, sollte man es fragen, wie es sich selbst fühlen würde, wenn ihm das passieren würde. So appelliert man an sein Mitgefühl und an sein Gewissen. Fazit: Kinder sollten mit Unterstützung ihrer Eltern entdecken, dass andere die gleichen Gefühle empfinden wie sie selbst.
Können Strafen einen positiven Einfluss auf die Vermittlung von Werten haben?
Dr. Albert Wunsch: „Nein, von Bestrafungen halte ich nicht viel. Sie formen zwar den Charakter, klar, aber keinesfalls im positiven Sinn. Das Problem: Strafen führen selten zur Einsicht. Ganz anders ist es mit Konsequenzen – sie sind in der Erziehung extrem wichtig. Sie ergeben sich aus einer Handlung, sind also natürlich oder logisch nachvollziehbar. Konsequenzen 'lehren' das Kind spürbar und – meistens – nachvollziehbare Vorgänge, und damit verbundene moralische Vorstellungen oder Erwartungen werden dadurch eher verinnerlicht.“
Welche Rolle spielt die Religion, wenn es darum geht, aus einem Kind einen guten Menschen zu machen?
„Religion kann sich auf jeden Fall positiv auf die Moral-Entwicklung auswirken, denn sie gibt Orientierung, die Gemeinschaft gibt Halt“, so Dr. Albert Wunsch.
Was können Eltern tun, wenn sie beobachten, dass sich ihr Kind völlig falsch verhält, also sich ungerecht verhält, aggressiv ist?
Dr. Albert Wunsch: „Wenn sich Kinder so verhalten, dann handelt es sich meist um eine Reaktion. Auslöser hierfür gibt es viele, aber oftmals steckt mangelnde Aufmerksamkeit, also fehlende Beachtung dahinter. Eine Umfrage hat ergeben, dass sich über 80 Prozent der Jugendlichen in Deutschland mehr Zeit mit den Eltern wünschen – das ist geradezu alarmierend. Es zeigt deutlich, dass eine knappe sogenannte „quality time“ in der Eltern-Kind-Beziehungen diesen bedarf nicht deckt. Viele Familien leben leider nicht mit-, sondern nebeneinander.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen