Dienstag, 27. November 2012

+++Das Geheimnis der englischen Kriegstaube+++



 Das 70 Jahre alte Skelett einer Brieftaube, das im Süden Englands entdeckt wurde, gibt Rätsel auf: Am Bein trug das Tier eine Metallkapsel mit einer möglicherweise kriegswichtigen Botschaft - doch die kann bislang niemand entschlüsseln.

Es war einmal ein Agent: Viel mehr als ein paar Knochen und eine rote Metallkapsel sind von dem britischen Kurier nicht übrig.
Die Agenten Ihrer Majestät sind ratlos: Was bitte sollen folgende Buchstabenkombinationen bedeuten? AOAKN – HVPKD – FNFJW – YIDDC – RQXSR – DJHFP – GOVFN – MIAPX – PABUZ – WYYNP ... Insgesamt 27-mal fünf Buchstaben stehen auf einem Zettel, der an „X 02“ adressiert ist, ein Kampfflieger-Kommando im Zweiten Weltkrieg. Auch der Absender gibt sich auf dem Papier zu erkennen, es ist ein gewisser „Sergeant W Stot“. Und die in solchen Fällen übliche Identifikationsnummer, die über den Träger der Nachricht Aufschluss gibt, ist ebenfalls vorhanden. Merkwürdigerweise finden sich aber gleich zwei verschiedene Angaben. Viel mehr lässt sich aus der verschlüsselten Botschaft, die aus einem Schornstein in einem Haus in der Grafschaft Surrey im Süden Englands stammt, dann schon nicht mehr herauslesen.

David Martin, 74 Jahre alt, entdeckte vor ein paar Wochen das Skelett einer Taube in seinem Kaminabzug. An einem der Knöchelchen war eine rote Metallkapsel befestigt, in der sich der gut 70 Jahre alte Brief befand. Der kleine Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg, Jahrgang 1940, wie ein metallener Ring am Beinknochen der Taube verrät, war möglicherweise auf dem langen Heimweg nach Bletchley Park in Buckinghamshire, etwa 130 Kilometer weiter nördlich von Martins Haus. Dort befand sich damals eine militärische Dienststelle, die „Government Code and Cypher School“ („Staatliche Code- und Chiffrenschule“), deren Mitarbeiter damit betraut waren, die Verschlüsselungsmethoden des geheimen Nachrichtenverkehrs der deutschen Wehrmacht zu entziffern.

Dorthin wurde nun auch der Zettel zur Entschlüsselung geschickt, doch die britischen Kryptoanalytiker, die einst das Rätsel der berühmten Enigma knackten, mit dem das deutsche Militär geheime Nachrichten herstellte, scheiterten ebenso an dem Buchstaben-Code wie ihre Kollegen vom heutigen Nachrichten- und Sicherheitsdienst GCHQ.

Fliegende Kuriere gab es im Krieg viele – rund 250.000. Das Rot der Metallkapsel deutet in diesem Fall darauf hin, dass die Taube zu einer Spezialeinheit („Special Operations Executive“, SOE) der alliierten Kräfte gehörte, die in Deutschland selbst Sabotageakte plante und ausführte. Die Tauben wurden an kleinen Fallschirmen in Deutschland abgeworfen, am Boden eingesammelt und mit den verschlüsselten Botschaften wieder nach Hause geschickt. Die kriegsentscheidenden Tiere schafften Geschwindigkeiten von einer Meile in der Minute, und einige, wie etwa die Taube „Commando“, kamen auf 90 Einsätze im Krieg.

Der unbekannte Vogel aus Martins Schornstein könnte auf dem Rückweg eine Pause auf dem Dach eingelegt und dabei eine Rauchvergiftung erlitten haben. Das würde den Fundort der Taube erklären. Der Rest aber bleibt bis auf weiteres noch mehr Theorie. Forderte Sergeant W. Stot vielleicht Flugzeuge an, damit sie ein bestimmtes Ziel bombardierten? Oder war die Nachricht womöglich für Feldmarschall Bernard Montgomery gedacht, der in seinem Hauptquartier in Reigate in Surrey die kriegsentscheidende Invasion in der Normandie vorbereitete? Das wäre nicht unwahrscheinlich, denn gerade Tauben waren im „D-Day“-Einsatz, um über den Fortgang der Operation im Norden Frankreichs zu berichten.

Colin Hill, Kurator der Dauerausstellung „Pigeons at War“ (Tauben im Krieg) im heutigen Museum in Bletchley Park, sagte der englischen Zeitung „Daily Mail“, er sei sich sicher, dass die Botschaft im höchsten Maße „top secret“ gewesen sei. Hill scheint wenig optimistisch, dass sich das Rätsel noch lösen lässt. Falls es sich um eine sogenannte Einmalverschlüsselung („One-Time-Pad“) handelt, wie sie der Amerikaner Gilbert Vernam 1918 erstmals verwendete, und der entsprechende Schlüssel vernichtet oder verloren wurde, werden auch moderne Krypto-Experten den Code kaum knacken können. Dann hätte die Taube ihr Geheimnis tatsächlich mit ins Grab genommen.

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