Dienstag, 9. Oktober 2012

OLIVER KAHN bloggt - No.6




Liebe Fußball-Fans,

nach dem 2:2 am Sonntag zwischen Stuttgart und Leverkusen hat Bruno Labbadia eine Wutrede gehalten. Enttäuscht von „Bruno-raus“-Rufen hat sich der VfB-Trainer dagegen gewehrt, zum „Mülleimer für alle“ gemacht zu werden. Labbadia sieht sich als Opfer einer Kampagne, spricht davon, dass das Publikum „durch absolute Unwahrheiten aufgewiegelt“ worden sein.

Der Trainer als Hauptverantwortlicher der Stuttgarter Misere? Die User im Fanorakel bewerten die Situation komplett anders. Nur 19 Prozent halten Labbadia für den „Schuldigen“ des Fehlstarts mit nur einem Sieg. Aber satte 61 Prozent sehen das Hauptproblem bei der Mannschaft.
Offenbar deckt sich das Bild, das vom VfB Stuttgart gezeichnet wird, nicht mit der Meinung der Fan-Mehrheit! Das wundert mich nicht. Oftmals habe ich in meiner Karriere die Beobachtung gemacht, dass die Fans im Kern anders denken als es öffentlich dargestellt wird.
Hat der Trainer die Mannschaft noch im Griff?
Meine Erfahrung ist, dass die Fans ein feines Gespür für die Verfassung ihrer Mannschaft haben. Als Spieler konnte ich oft an den Reaktionen der gegnerischen Anhänger ablesen, wie schwer es für mein Team sein würde, zu gewinnen. Ob eine Mannschaft zu hundert Prozent an sich glaubt, ob sie vielleicht sogar über sich hinauswächst oder ob ihr Widerstand schnell gebrochen ist – dafür waren die Reaktionen des Publikums ein verlässlicher Indikator.
Aber: Kaum verliert eine Mannschaft drei Spiele in Folge, glaubt man, schon wieder den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ zu sehen. Es beginnt das immer gleiche Theater. Die Trainer werden reflexartig an den Pranger gestellt. Die aufgeheizte Atmosphäre schwappt in die Stadien, was die Trainer noch stärker unter Druck setzt. Das Ergebnis sind Wutreden wie die von Labbadia.
Als Spieler habe ich selbst häufig sehr emotional reagiert. Bei den Trainern habe ich die Typen geschätzt, die sich vom öffentlichen Druck nicht haben provozieren lassen, die immer die Ruhe bewahrt totale Überzeugung ausgestrahlt haben. Diese Ruhe und Überzeugung überträgt sich immer auch auf die Mannschaft.
Deshalb hat sich Labbadia mit der Wutrede keinen Gefallen getan. Auch nach der berühmten „Ich habe fertig“-Rede von Trapattoni tauchte ganz zwangsläufig die Frage auf, ob ein Trainer, der sich selbst nicht im Griff hat, seine Mannschaft im Griff haben kann.
Es hätte gereicht, wenn Labbadia in dieser Situation allein auf die Fakten, wie den Stuttgarter Sparkurs, verwiesen hätte.  

Der VfB Stuttgart fährt seit zwei Jahren einen rigiden Sparkurs, hat vor der Saison nur 300 000 Euro in neue Spieler investiert – so wenig wie kein anderer Erstligist. Auch der neue Fernsehvertrag, der von 2013 an 200 Millionen Euro mehr in die Kasse der Klubs spülen wird, hat den VfB nicht von seiner Linie abweichen lassen.

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