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Sonntag, 23. September 2012
JOHANNES KNEIFEL - der Killer, der Pastor wird!
Johannes schlägt zu. Einmal, dann noch mal. Immer mit der Faust ins Gesicht. Peter taumelt nach hinten, knallt gegen ein Regal, Gläser fallen zu Boden. Dann der Tritt mit den Stahlkappenstiefeln. Er trifft Peter direkt am Kinn. Noch mal. Und noch mal. Blut überall. Dann rennt Johannes weg.
Einen Tag später, am 10. August 1999, stirbt Peter Deutschmann, 44, im Krankenhaus in Eschede, Niedersachsen. Es ist der Tag, an dem der 17-jährige Johannes Kneifel verhaftet wird. Als Tottreter, als Totschläger, als Killer.
13 Jahre später. Wir treffen Johannes Kneifel in seiner Wohnung in Elstal (Brandenburg) zum Frühstück. Er isst ein Brötchen mit Bärchenwurst, ein Croissant mit Nutella und trinkt Instant-Kaffee. „Den hatten wir im Gefängnis. Ich hab ihn mir immer noch nicht abgewöhnt“, sagt er. Der 30-Jährige trägt ein petroleumblaues T-Shirt, dicke Muskelstränge zeichnen sich darunter ab. Wir fragen: „Wie kam es zu so viel Hass, dass ein Mensch sterben musste?“
Johannes Kneifel holt tief Luft, überlegt kurz: „Mit 13 Jahren bin ich abgerutscht, in die rechte Szene“, sagt er, „meine Mutter hatte Multiple Sklerose, mein Vater war arbeitslos. Wir hatten kein Geld, in der Schule wurde ich ausgegrenzt. Freunde hatte ich da nicht.“ Die Eltern hätten dann einen älteren Nachbarjungen gebeten, sich um Johannes zu kümmern. Der machte den Teenager mit Skinheads bekannt. „Die Kameraden nahmen mich auf wie eine richtige Familie. Bei ihnen fühlte ich mich verstanden.“
Bald sehen die Wochenenden für Johannes immer gleich aus: Jeden Freitag werden die Haare abrasiert, die Springerstiefel geputzt. Dann wird gesoffen. Bier, Doppelkorn, Wodka. Dabei hämmert sich die Musik der Rechts-Bands Störkraft und Landser in ihre Köpfe.
„Und dann war da dieser Tag. Der 9. August 1999“, sagt Johannes Kneifel, „mein Kumpel Marco erzählte mir von einem Mann, den alle nur ‚Hippie‘ nannten. Er hatte was gegen uns. Also beschlossen wir, ihm einen Denkzettel zu verpassen.“
Johannes Kneifel spricht ruhig, fast monoton. Bis heute fehle ihm eine Erklärung für das, was dann mit ihm passiert sei. Eine Erklärung für all die Wut.
Gemeinsam mit seinem Kumpel Marco tritt Johannes die Tür ein und bedroht Peter Deutschmann in seinem Wohnzimmer. Der sagt, sie sollen wieder gehen, er wolle keinen Ärger.
Sie sollen wieder gehen? Dieser Hippie will ihnen sagen, was sie zu tun haben? Johannes Kneifel rastet aus. Marco ruft: „Spinnst du? Du bringst ihn ja um!“ Dann hauen die beiden ab.
Am nächsten Morgen steht die Polizei vor der Tür von Johannes Kneifel. Der 17-Jährige wird wegen Totschlags verhaftet. „Ich habe immer wieder die gleichen Sätze vor mich hin gesagt: ‚Ich bin doch kein Mörder! Das waren doch nur ein paar Schläge und Tritte.‘“
Kneifel wird wie sein Kumpel Marco nach Jugendstrafrecht zu fünf Jahren verurteilt und kommt in den Jugendstrafvollzug nach Hameln. Der Anstaltspsychiater bescheinigt ihm schwere seelische Abnormitäten, aber auch eine überdurchschnittliche Intelligenz.
„Früher war ich ständig betrunken, jetzt musste ich nüchtern mit meinem Leben klarkommen. Ich hatte Selbstmordgedanken. Es waren die dunkelsten Stunden in meinem Leben“, sagt Johannes Kneifel heute.
Er verbringt die Jahrtausendwende hinter Gittern, hört von Weitem die Böller knallen und feiert seinen 18. Geburtstag mit einer halben Torte, die ihm ein Mitgefangener schenkt.
Manche gehen im Knast unter, Johannes Kneifel steigt auf. Er freundet sich mit ausländischen Mitgefangenen an, beginnt eine Ausbildung als Zerspanungsmechaniker – und besucht den Gottesdienst. „Am Anfang war die Andacht nur eine Zeit, die mir Abwechslung geboten hat. Ein paar Stunden rauskommen und Kaffee trinken.“
Es war irgendwann 2003, Johannes Kneifel schon seit vier Jahren im Gefängnis, als er zum ersten Mal Gott zu sich sprechen hört. „Er hat gesagt: ‚Johannes, du musst dich entscheiden, ob du mich in dein Leben lassen willst.‘ Vorher hatte ich nie gelernt, einem Menschen zu vertrauen, aber jetzt spürte ich, wie eine körperliche und seelische Last von mir fiel. Gott wollte mir verzeihen.“ Seit diesem Tag liest er die Bibel.
Am 5. Juni 2004 kommt Johannes Kneifel aus dem Gefängnis frei. Ein Verein stellt ihm eine möblierte Wohnung, er schließt sich einer baptistischen Gemeinde an und macht sein Fachabitur nach. Alles Einsen, nur in Mechanik eine Zwei.
„Eigentlich wollte ich Maschinenbau studieren, aber dann bot mir ein Pastor in meiner Gemeinde ein Praktikum an, und nach dem Jahr war mir klar: Ich will mein Leben Gott widmen.“ Johannes Kneifel zieht nach Brandenburg und studiert in Elstal Evangelische Theologie. Sein Studium hat er fast abgeschlossen, nur die Masterarbeit muss er noch schreiben, dann kann er im nächsten Jahr Pastor werden.
Was aber predigt einer, der eine Todsünde begangen hat? „Ich will den Leuten Vergebung zusprechen. Jeder Mensch, egal was er getan hat, kann ein neues Leben anfangen. Auch Moses hat jemanden erschlagen, bevor er das Volk Israel aus Ägypten führte.“
Aus dem rechten Skinhead Johannes Kneifel ist ein frommer Mann geworden. Er betet mehrmals am Tag, begleitet Sterbende, organisiert Kindergottesdienste. In seiner Küche hängt ein Autogramm von Angela Merkel. „Ich bete auch für sie“, sagt Johannes. „Sie braucht viel Kraft, jetzt in der Eurokrise.“
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